Atomverträge belegen: Ausstieg ohne Reue möglich

■ Weder der Staat noch die deutschen Atomkonzerne sind laut Vertragstext beim Ende der Wiederaufarbeitung zu Schadensersatz verpflichtet. Vor den anstehenden Konsensgesprächen droht die Stromwirtschaft, die Verhandlungen scheitern zu lassen

Berlin (taz) – Beim geplanten Ende der Wiederaufarbeitung deutschen Atommülls in Frankreich und England sind weder die deutschen Atomkonzerne noch der Staat zu Schadensersatz verpflichtet. Das geht aus den Musterverträgen von deutschen AKW-Betreibern mit der französischen Firma Cogéma und der britischen BNFL und entsprechenden Regierungsabkommen hervor. Die Frage nach der „höheren Gewalt“, die einen Ausstieg ohne Entschädigung ermöglicht, ist in den Verträgen, die der taz vorliegen, ausdrücklich geregelt: Die Firmen sind bei „Unterlassung bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen durch Gesetze oder Beschränkungen durch die Regierung“ vom Schadensersatz freigestellt.

Der Wortlaut der Verträge deckt die Einschätzung von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne). Die „Verträge sehen für die Partner den kostenfreien Ausstieg vor, falls die Wiederaufbereitung vom Gesetzgeber oder einer Regierung nicht mehr zugelassen wird“, erklärte Trittin gegenüber der taz. Diese Reaktion auf neue Rahmenbedingugnen sei von den Firmen selbst definiert worden.

Auch auf der völkerrechtlichen Ebene verursacht der Atomausstieg nach Ansicht der Bundesregierung keine Schwierigkeiten. Eine Entschädigung für die englischen und französischen Firmen aus Steuergeldern werde es aus einem formalen Grund nicht geben, heißt es seitens der Bundesregierung: Das Abkommen über die Atomtransporte sei als Regierungsabkommen geschlossen worden. Beschließe nun das Parlament den Ausstieg, werde damit dieses Abkommen nicht gebrochen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bekräftigte, Ansprüche auf Entschädigung aus England und Frankreich würden zurückgewiesen: „Wir können keine Schadensersatzforderungen akzeptieren.“

Über die Folgen für die deutschen AKW-Betreiber will der Kanzler heute mit der Energiewirtschaft beraten. Die Vertreter der Konzerne RWE, Veba, Viag und EnBW hatten gefordert, das für 2000 geplante Ende der Wiederaufbereitung nach hinten zu verschieben. Gehe Schröder nicht auf die Forderungen ein, werde es keine Konsensgespräche geben. Viag- Chef Wilhelm Simson hatte im Spiegel erklärt, wenn es bei der Einjahresfrist bleibe, sei „ein Energiekonsens nicht mehr vorstellbar“. Nach einem Bericht der Welt am Sonntag wollen die Konzerne das Ende der Wiederaufbereitung erst in fünf Jahren akzeptieren. Andernfalls müßten „jährlich 100 Castor-Transporte rollen“ – eine Forderung, die Trittin mit dem Kommentar „so viel Atommüll gibt es überhaupt nicht“ zurückwies. Laut Focus will Schröder der Industrie den reibungslosen Betrieb der AKWs für die vereinbarte Restlaufzeit garantieren.

Intern haben sich Atomkonzerne offenbar auf eine harte Linie geeinigt. Am Wochenende beriefen sie den Vorstandsvorsitzenden der Hamburger HEW, Manfred Timm, zum Koordinator für die Gespräche. Timm gilt als Hardliner. Noch vor vier Tagen erklärte er, er wisse gar nicht, was die Unternehmen „mit Bundeskanzler Schröder bereden sollten“. Der Spitzenkandidat der französischen Grünen für die Europawahl, Daniel Cohn-Bendit, vertritt im taz-Interview die Meinung, es müsse eine „industrielle Kompensation“ für das Ende der Atomtransporte geben. ü.o./smv/bpo

Dokumentation und Interview Seite 8