Schneller Vorlauf

■ Sushi, Geheimdienst und Artillerie. Enki Bilal, der Vater des Polit- und Autorencomics, widmet sich den totalen Achtzigern: Eine verspätete Entzauberung der postmodernen Welt

„Sind Sie Serbe, Kroate oder Muslim? Muslim-Serbe oder Serbokroate?“ Die Frage nach seiner Nationalität beantwortet der in Sarajevo geborene Nike Hatzfeld – „Gedächtnisspezialist ohne Interesse an der Vergangenheit“ – nie. Wir schreiben das Jahr 2026, doch offenbar ist die Welt nicht übersichtlicher geworden. Der einzige Halt: Auch im neuen Album „Der Schlaf des Monsters“ haben fast alle männlichen Figuren von Enki Bilal einen gebrochenen Nasenrücken.

Der 1951 in Belgrad geborene und seit 1960 in Frankreich lebende Bilal gilt als Vater des politischen Autorencomics. In seinen alten Alben „Treibjagd“ und „Der Schlaf der Vernunft“ dekonstruiert er den Kommunismus und den Ruhm der Veteranen des Spanischen Bürgerkriegs. Beide Comics zeigen, wie Gewalt die Utopien zerstört, wie aus Helden Mörder werden. Daneben hat Bilal Science-fiction-Alben geschrieben, in denen die achtziger Jahre fröhliche Urständ feiern: Die Frauen sind grell geschminkt, die Häuser ruinös wie in New York, die politischen Verhältnisse à la Baudrillard verwirrt. Die Medien simulieren Wirklichkeit, aber damit hat man zu leben gelernt und trinkt Cocktails in blauen Bars. Schicke Verzweiflung als Mode.

Nun schreiben wir die Neunziger, aber Bilal ist sich in „Der Schlaf des Monsters“ treu geblieben: „Mafiageschwür des Neoliberalismus am beginnenden 21. Jahrhundert, schwere Nuklearkatastrophen, eine Folge der miserablen postsowjetischen Verwaltung am Ende des letzten Jahrhunderts, Aufblühen neuer Sekten“, sind seine Themen. Bilals Zwischentexte, historische Überblicke, lesen sich, als wäre er bei der Jahresrückschau von „Spiegel TV“ auf der Fast- Forward-Taste hängengeblieben. Zwar schafft es der Zeichner immer wieder, atmosphärisch dichte Bilder zu kreieren, aber die Geschichten sind so durchschaubar verwirrt, daß einzelne Winkelzüge bedeutungslos werden. Bilal will nicht erzählen, sondern die Erzählung zerstören. Außerdem gibt es zur Zeit kein langweiligeres Topos als die x-te Wiederholung einer globalen Weltzerstörung.

In den achtziger Jahren sah Indifferenz nicht nur schick aus, sie war auch eine integre, politisch- ästhetische Haltung. Sie ermöglichte es, aus dem Blockdenken auszubrechen: Die „neue Unübersichtlichkeit“ beschrieb die Verbrechen und Visionen beider Seiten. Bilal ist sichtbar entsetzt vom Bürgerkrieg in seiner alten Heimat, aber er versucht die Ursachen durch eine postmoderne Ideologiekritik zu entschlüsseln. Die Zusammenhänge entgleiten ihm, und heraus kommt ein Bildersalat: Sushi, Geheimdiensthistörchen, Attentate oder Artillerieangriff auf den Markt in Sarajevo, Atomraketen, Raumstationen.

Selbst seinen Mitteln scheint Bilal zu mißtrauen. Deshalb potenziert er seine Anstrengungen, dekonstruiert und dekoriert seine apokalyptischen Bilder einer Welt im permanenten Bürgerkrieg mit aktuellen Schlagwörtern wie Fundamentalismus und Neoliberalismus. Aber je mehr Begriffe und Zeichen auftauchen, desto schematischer wirkt sein Comic. Alles schon – und besser – bei Bilal gesehen.

Und so scheint es, als wäre Bilal, der die ideologischen Denkmuster der Achtziger zerstören wollte, einer der letzten, der noch in ihnen verfangen ist. Martin Zeyn

Enki Bilal: „Der Schlaf des Monsters“. Ehapa, Stuttgart 1998, 34,80 DM