■ Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst – ein Bündnis gegen Arbeit?
: Anachronistische Forderungen

Bundeskanzler Gerhard Schröder wird nicht müde, landauf, landab zu verkünden: An der Massenarbeitslosigkeit entscheidet sich das politische Schicksal von Rot-Grün; das Bündnis für Arbeit ist das Kernstück einer großen konzertierten Aktion gegen die soziale Spaltung der Gesellschaft.

Die Botschaft hör'n wir wohl. Allein, wenn die Koalition nicht in letzter Minute aufwacht, wird sie die Chance eines effektiven Bündnisses für Arbeit gerade dort verschlafen, wo sie selbst als Arbeitgeber gefordert ist – im öffentlichen Dienst. Am kommenden Freitag beginnen die Tarifverhandlungen für die 3,2 Millionen Arbeiter und Angestellten von Bund, Ländern und Gemeinden. Was dort vereinbart wird, gilt dann auch für alle Beamten. Offiziell wird über Löhne und Gehälter verhandelt, inoffiziell über ein gewaltiges Beschäftigungsvolumen.

Verblüffenderweise spielt aber das Bündnis für Arbeit bei den Forderungen der Tarifparteien keine Rolle. ÖTV und DAG fordern wie einst im Mai einen kräftigen Schluck aus der Pulle: 5,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt, Feierabend. Sie berufen sich dabei treuherzig auf den neuen Finanzminister und die höheren Weihen der Kaufkrafttheorie: Lohnerhöhungen stärken die Binnennachfrage und führen zu mehr Beschäftigung. Dagegen kündigt Bundesinnenminister Otto Schily, Verhandlungsführer der öffentlichen Arbeitgeber, eine harte Haltung an.

Hinter Schily stehen die Kämmerer der Gemeinden, die schon ausgerechnet haben, wie viele Arbeitsplätze sie mit jedem Prozent Gehaltssteigerung abbauen werden, um nicht jeden finanziellen Handlungsspielraum zu verlieren. Viele Kommunen sind bereits an dem Punkt angelangt, wo sie außer Zinsen und Personal nicht mehr viel finanzieren können. Für den Bund, der mittlerweile fast 25 Prozent seiner Steuereinnahmen für den Schuldendienst aufbringen muß, ist die Lage eher noch dramatischer.

In dieser angespannten Haushaltssituation ist die Tarifpolitik von ÖTV und DAG ein purer Anachronismus. Unumstritten war sie auch in den eigenen Reihen nicht. Es liegt jetzt an den öffentlichen Arbeitgebern, den Gewerkschaften ein offensives Angebot für ein Bündnis für Arbeit zu machen.

Variante eins, die kleine Lösung: Die Gehälter im öffentlichen Dienst werden eingefroren. Im Gegenzug verpflichten sich die Arbeitgeber, zusätzlich 2 Prozent der Lohn- und Gehaltssumme für neue Ausbildungsplätze und beschäftigungsfördernde Arbeitszeitmodelle aufzubringen – bessere soziale Absicherung von Teilzeitarbeit, Anreize für außerbetriebliche Fortbildung und berufliche Auszeiten (sabbaticals).

Variante zwei, die große Lösung: Die Jahresarbeitszeit im öffentliche Dienst wird um 10 Prozent gekürzt, im Durchschnitt also um knapp vier Wochenstunden. Es wird ein gestaffelter Gehaltsausgleich gezahlt: 75 Prozent für die unteren, 50 Prozent für die mittleren, 25 Prozent für die oberen Einkommen. Das geringere Arbeitszeitvolumen wird durch flexible Arbeitszeitmodelle kompensiert. Die eingesparte Lohnsumme wird für Neueinstellungen auf den dringendsten Bedarfsfeldern genutzt. Angestrebter Arbeitsplatzeffekt: 5 Prozent des Beschäftigungsvolumens, was 200.000 neue Stellen bedeutete.

Die Bundesregierung könnte solche Zumutungen an die Gewerkschaften mit einer doppelten Legitimation vertreten. Der öffentliche Dienst würde damit zum Vorreiter für eine beschäftigungsorientierte Tarifpolitik. Gleichzeitig erhöhen die Steuerreform, die Senkung der Rentenbeiträge und höheres Kindergeld die Nettoeinkommen. Wer behauptet, das eine hätte mit dem anderen nichts zu tun, der ist nicht von dieser Welt.

Alles Illusion? Wer die Gelegenheit verstreichen läßt, die Tarifrunde im öffentlichen Dienst als Pilotprojekt für das Bündnis für Arbeit zu nutzen, signalisiert Arbeitgebern, Gewerkschaften und Arbeitslosen, daß alles nicht so ernst gemeint ist. Das wäre bitter, nicht nur für Rot-Grün. Ralf Fücks

Der Autor ist Geschäftsführer der Heinrich-Böll-Stiftung