Absackende Fassaden

Phantasievoll und überhaupt nicht pragmatisch: Die Ausstellung „Visionäre Architektur in Österreich“ präsentiert Entwürfe der 60er und 70er  ■ Von Britta
Peters

Aktion“, „Eros“, „Ritual Wunde Tod“ – erstaunlicherweise kann man mit solchen Schlagworten nicht nur schlechte Fernsehfilme, sondern auch interessante Architektur beschreiben. Wenn Ausstellungsmacher Günther Feuerstein dann zusätzlich so geheimnisvolle Begriffe wie „Pneumatics“, „Psycho Illusion“ und „Kippen und Reißen“ einführt und dem Ganzen auch noch das schöne Wort „visionär“ im Titel vorangestellt ist, wird die Sache spannend. Der österreichische Beitrag zur Sechsten Internationalen Architektur-Biennale in Venedig 1996, der jetzt in Hamburg präsentiert wird, ist nicht trockene Baugeschichte, sondern eine gelungene Zusammenfassung architektonischer Ideen aus den 60er und 70er Jahren: Visionen, Utopien und Entwürfe, deren Wirkung andauert.

Unter „Pneumatics“ kann man sich vielleicht noch etwas vorstellen: aufblasbare Gebäude, die heute vorzugsweise Außenschwimmbecken oder Tennisplätze überdecken. Vor gut 30 Jahren sorgte das luftige Material kurzfristig für eine regelrechte „PnEuphorie“ – noch leichter, noch billiger und noch schneller wollte man damit bauen, und zwar alles: Möbel, Häuser, Hallen. Der Architekt Hans Hollein setzte sich in einem solchen durchsichtigen Plastikbüro auf die grüne Wiese und demonstrierte damit, was er von der zeitgenössischen Architektur erwartete: Offenheit für neue Formen, Mobilität und Flexibilität.

„Psycho Illusion“ meint die Erweiterung des existierenden Raums durch einen virtuellen, zum Beispiel durch Spiegel oder optische Täuschungen. Diese Art von barocker Spielerei galt mit Beginn der Moderne als verpönt. Für die „Visonären“ war der Rückgriff auf die erzählerischen Formen eine Möglichkeit, dem phantasielosen Funktionalismus der Nachkriegsarchitektur zu entkommen. Statt pragmatische Einheitsbauten wollte die neue Generation „zurück zur Architektur“, wie Hollein es 1962 formuliert hat, mit dem Anspruch „materielle Gebilde zu schaffen, die eine transzendente Bedeutung haben“.

Dieser Ansatz, Architektur nicht rational und pragmatisch, sondern vor allem als ein Mittel der Kommunikation zu sehen, setzte neue Möglichkeiten frei. Utopien wurden entwickelt und mit Happenings und Objekten versuchten engagierte Gruppen, die herrschende Städtebaupraxis zu kommentieren und das eingefahrene Verständnis von Architektur zu erweitern. Archigramm aus England träumte 1964 von lebenden Städten, die sich wie gigantische Reptilien fortbewegen können, die Österreicher Haus-Rucker & Co installierten überdimensionale Seifenblasen als „Balloon for Two“ oder als „Oase Nr. 7“ an Häuserwänden und Coop Himmelb(l)au liefen in riesigen durchsichtigen Kugeln durch die Wiener Fußgängerzone. Und die „Architectural Pill“ von Hans Hollein, eine kleine normale Medikamentenkapsel, die er 1967 als „non-physical enviroment“ ausgestellt hat, veranschaulicht, wie weit man sich in Gedanken von Architektur als etwas zwangsläufig Gebautem gelöst hatte – bis zur Raumsimulation durch Drogen.

Eine andere Form, Massivität und Erdschwere der bestehenden Bauweisen hinter sich zu lassen, zeigen die frühen dekonstruktivistischen Entwürfe. Gebäude, die aussehen als würden sie „kippen und reißen“, die ewig unfertig bleiben und deren Fassaden verletzt sind. An einem Bankgebäude wie der Wiener Sparkasse von Günther Domenig wirkt diese Art des Bauens dann allerdings wie ein zynischer Anachronismus. Die Bank, Inbegriff von stabilen Macht- und Geldverhältnissen, kokettiert mit einem symbolischen Wegsacken ihrer Fassade.

Verglichen mit dem Thema, ist die Ausstellung in der freien Akademie recht nüchtern gehalten. Gut ausgewähltes Bildmaterial und poetische Zusammenfassungen machen die national beschränkte Sicht auf die Freaks der Architekturgeschichte trotzdem spannend und für jeden zugänglich.

Di bis So, 11 bis 18 Uhr, Freie Akademie der Künste Hamburg, Klosterwall 23, bis 15. Februar