piwik no script img

„Wir im Wendland machen keine Vorschläge“

■ Die Atomkraftgegner wollen mit ihrem Protest nicht aufhören, solange die AKWs nicht sofort abgeschaltet werden. Doch manche wissen nicht, ob sie die nächste Sitzblockade wirklich mitmachen

Der Ton ist gereizt. Warum fragt ihr ausgerechnet uns, wollen die beiden Frauen in den verkleckerten Wolljacken wissen. „Warum sollen die Atomkraftgegner jetzt Lösungen anbieten für Probleme, die sie immer verhindern wollten?“

Kerstin Rudek und Lucia Wente verstehen die Welt nicht mehr. Eben haben die Gorlebener Aktivistinnen zwei große Scheunentore aufgeschoben. Vor der idyllischen Fachwerkkulisse eines wendländischen Dorfes pinseln sie Schilder für die nächste Demo an und lassen sich dabei abfilmen. Tausendmal haben sie der Presse bunte Bilder vom Widerstand geliefert, doch diesmal stellt sich das mediale Wollwollen nur zögernd ein. „Was ist denn euer Vorschlag?“ heißt es immer wieder. Die Demonstrantinnen bleiben ungerührt: „Wir machen keine Vorschläge.“

Blockieren, verweigern, business as usual ist die Devise der Atomkraftgegner, die zur nächsten Protestwelle rüsten. In Bonn laufen die Energiekonsengespräche, „Konsens ist Nonsens“, meinen die Bürgerinitiativen. Alarmstufe Rot wurde vor allem in Gorleben ausgerufen. Ausgerechnet hier, wo die professionellste Protestkultur der Republik gewachsen ist, wird man womöglich die Zeche zahlen für das, was man immer bekämpft hat. Der erste Atomkraftgegner auf einem Bonner Ministersessel könnte dem Wendland nicht nur mehr Castor-Transporte denn je bescheren. Auch ein Endlager Gorleben ist wieder in aller Munde. „Es gibt weltweit kein sicheres Entsorgungskonzept“, sagt Kerstin Rudek von der BI Lüchow-Dannenberg. „Es wird nie ein sicheres Endlager geben“, schiebt ihre Mitstreiterin nach, „und hier schon gar nicht.“

Die Lage ist vertrackt. Nicht nur, weil die AKW-Gegner gegen die Entscheidungen ihrer eigenen Volksvertreter auf die Straße gehen. Auch nicht, weil ein ungewohnt provinzieller Mief durch die Reihen derer zieht, die die Heimaterde von Atommüll freikämpfen – und damit billigend in Kauf nehmen, daß der Dreck bei den Nachbarn bleibt. Ungewohnter noch scheint für viele zu sein, daß der Ausstieg aus der Atomkraft den Einstieg in eine zähe, interne Diskussion bringt.

In einem kleinen Backsteinhaus an der Elbe, ein paar Kilometer von Gorleben, wohnt Klaus-Peter Dehde. Er ist SPD-Fraktionschef im Kreistag und einer, der sich mit 16 Jahren wegschleppen ließ, als er gegen das Zwischenlager protestierte. Ob er sich das nächste Mal wieder auf die Straße setzt, will er allerdings „abwarten“. Dehde ist schwankend geworden. „Jetzt kommt der Einstieg in den Ausstieg“, hofft der Widerständler, „da müssen wir uns unserer nationalen und regionalen Entsorgungsverantwortung stellen.“

Zwar sind ihm der Kanzler und sein Wirtschaftsminister „schon ein bißchen suspekt“. Zunehmend unwohl scheint Dehde sich jedoch auch in der Anti-AKW-Initiative zu fühlen. „Ich wünsche mir einen offeneren Diskussionsstil“, meint er, „da werden kritische Töne einfach untergebügelt.“ Nach wie vor hält Dehde den Gorlebener Salzstock für ungeeigent als Endlager. Allerdings hätte er nichts dagegen, wenn eine „neue Bewertung von Salz und Granit auf breiter wissenschaftlicher Grundlage“ in der Region vorgenommen würde.

Hier wird nicht mehr das Ob, sondern das Wie diskutiert. Von einer „Verteilung der Lasten“ ist die Rede, von über 200 Arbeitsplätzen rund ums Zwischenlager, vom „strukturellen Defizit“ des Ex-Zonenrandgebietes. „Wir haben ein jährliches Defizit von 20 Millionen Mark im Kreishaushalt“, sagt Dehde. Gegen einen dicken Scheck aus Bonn, der der Region das Leben neben dem Atomklo versüßen könnte, würde er sich nicht unbedingt wehren. „Sicher wäre man daüber nicht glücklich, aber man würde sich damit abfinden müssen.“ Was für die einen ein „offener Diskussionsstil“ ist, ist für die anderen Verrat. Zwischen meterhohen Bücherregalen sitzt Marianne Fritzen und klopft wütend auf den Tisch. „Ich habe die letzte 25 Jahre meines Lebens der Bewegung gewidmet, da steckt so viel Arbeit drin, all das Geld für die Prozesse, all die Prügel und die schlaflosen Nächte“, schimpft die Bündnisgrüne, „und jetzt soll ich einfach aufhören? Kommt gar nicht in Frage!“

Schlicht naiv findet es auch BI- Chefin Susanne Kamien, jetzt dem Druck der Atomindustrie nachzugeben. „Wenn wir einknicken, würden die uns sofort über den Tisch ziehen und der Anti-Atom- Bewegung den Garaus machen.“ Daß die Genossen umfallen, hat sie so wenig überrascht wie die Tatsache, daß „der Jürgen“ weit davon entfernt ist, durchzusetzen, wofür er einst auf den Schienen saß. „Ohne Sofortabschaltung sind wir nicht gesprächsbereit“, sagt sie.

Am 10. Februar kommt Jürgen Trittin nach Gorleben. „Der arme Kerl“, meint Susanne Kamien, „der tut mir jetzt schon leid.“ Constanze v. Bullion,

Lüchow-Dannenberg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen