piwik no script img

Wer wollte ihm böse sein

■ Der Anwalt der Zwangsarbeiter, Klaus Freiherr von Münchhausen, hat Grund zum Feiern: Nach zähen Jahren kündigte der Senat einen Hilfsfonds an / Ein Portrait

Man muß sich vorsehen. Fast ist es, als hätte hier eine Lebensgeschichte ihr Telos gefunden. Und der Schnaps und das Bier im Auto begießen heute abend seine Erfüllung. Aber das ist doch Quatsch. Auch Klaus von Münchhausen hat viele Leben, hat mal im Teufelsmoor gelebt und hatte mal eine Frau, die ihn dann nicht mehr liebte. Leben eben, manche sterben dran. In Auschwitz war er als Kleinkind und bald will er sich wieder ums mütterliche Erbe kümmern, Hausrat in Sachsen. Bald habe er wieder Zeit, sagt er und schwenkt mit dem Teebeutel. Wer's glaubt ... Die Geschichte eines Adelsmannes aus Deutschland – merkwürdig genug: Aus diesem Lager hat man schon von einfacheren Lebensläufen gehört. Beim Abschied an seiner Vierteltür ohne Flur bedankt er sich für die Ehre. Manchmal habe er soetwas nötig. Man hätte sie wohl am Dienstag erweisen sollen, in der Bremischen Bürgerschaft: Bei der Bekanntgabe jenes Hilfsfonds, den die Stadt nun in Bremen für ehemalige Zwangsarbeiter einrichten will. Ohne Klaus Freiherr von Münchhausen gäbe es das nicht.

Als wäre es nötig, nun die Brille auf die Nase zu heben. Der Mann weiß doch genau, an welchem Tag eine halbe Lebensgeschichte begann. Aber vielleicht braucht es für den Halt im Leben manchmal die Aktennotizen. Historie als Nutzen und Nachteil für die Gewißheit zu sein. Also gehören ein Badeurlaub im Januar '85 und die vergilbte Presseerklärung eines Bremer Deputationssprechers für Arbeit und Wiedergutmachung aus dem September des darauffolgenden Jahres wohl zusammen.

„Hier ist unbürokratische Hilfe gefragt“, ruft da ein Uwe Beckmeyer von der SPD, „dieses muß rasch geschehen, fast alle überlebenden Opfer gehören heute der älteren Generation an.“ Ein Auschwitz-Komitee habe angefragt, und jetzt weiß man: 800 jüdische KZ-Häftlinge waren zur Zwangsarbeit in Bremen, die Frauen im KZ Obernheide – vom Bausenator aus Auschwitz herangekarrt für Trümmerbeseitigung.

„Rasch!“ Der Ruf raschelt von weit her aus einem tiefen Sessel im Viertel, wo Klaus von Münchhausen im gelben Recycling-Papier blättert. Alles hat seine Zeit, und Münchhausen muß sich jetzt aus der Spannung über den Akten zwischen die Armlehnen zurückfallen lassen – das macht er gerne. Lacht mit seinem faltigen Jungsgesicht. Er hat doch gewonnen und will heute mit all den Leuten, die er ein halbes Leben lang fürchterlich nervte, Fest feiern. Mit seinen Autoschraubern, seinen Freunden, „Helga Trüpel“, die half ihm im September 1986 bei der kleinen Anfrage – sonst keine Namen.

Doch wer wollte ihm böse sein. Dafür, daß er nach einem israelischen Badeurlaub vor 14 Jahren eine kleine Anfrage mitbrachte? Statt wie üblich die Nordsee-Segel zu hissen. „Ich ging davon aus, daß das eigentlich Einzelfälle sind, und mit ein paar netten Gesprächen läßt sich das regeln.“ In Israel, bei einer Gedenkfeier, waren ihm die Frauen, die sich untereinander spöttisch die „Unions-Mädel“ nannten, begegnet: In der Nazizeit hatten sie für die Fröndenberger Union Auschwitz in der Muniti-onsfabrik arbeiten müssen. Und die Frauen aus Obernheide, aus Bremen. 14 Jahre später ist er ihr Rechtsbeistand, und so einfach war es dann doch nicht.

Rasch war Uwe Beckmeyers Ruf auch wieder verhallt, so ist das nun mal mit dem Rufen – nur der Münchhausen, in der Sozialbehörde eigentlich zuständig fürs Ressort Ausländerintegration, nervte und nervte und hatte „das Gefühl, ziemlich alleine zu sein“. Wurde abgemahnt, flog aus seiner Stelle, kriegte eine neue, flog wieder raus. Fand endlich seinen Ort als Historiker in der Uni. Und begleitete die Frauen aus Fröndenberg und Obernheide durch die deutschen Gerichte. Bis heute.

Fritz von Klinggräff

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen