Laptop und Lachnummern

Seit knapp einem Jahr läuft probeweise das „Berliner Modell“. Mit der umfassenden Polizeireform soll die Kriminalitätsbekämpfung in der Hauptstadt effektiver gemacht werden. Die Reform ist notwendig, der Ansatz respektabel, die Durchführung dilettantisch  ■ Von Otto Diederichs

Das Ziel ist ehrgeizig, die Notwendigkeit unbestritten, die bisherige Umsetzung dagegen eher dilletantisch: Die Rede ist von einer umfassenden Reform der Berliner Polizei. Seit knapp einem Jahr läuft in einer der sieben Berliner Polizeidirektionen der Probelauf für das großspurig „Berliner Modell“ getaufte Reformprojekt. Dabei soll die Schutzpolizei stärker in die Arbeit der Kriminalpolizei eingebunden werden. Durch eine Verkürzung der Bearbeitungszeiten und einen stärkeren Computereinsatz vor Ort soll auf diese Weise die Kriminalitätsbekämpfung effektiver gemacht werden.

Eine Veränderung der bisherigen Polizeiarbeit war auch dringend erforderlich. Von 1995 bis 1997 hatte die Hamburger Consultingfirma „Mummert + Partner“ im Auftrag des Innensenators die Berliner Polizeistruktur geprüft. Parallel arbeitete eine Planungsgruppe im Stab des Polizeipräsidenten etwa ebenso lange. Die Ergebnisse waren geradezu vernichtend: Die Arbeitsverfahren sind aufgrund der hohen Arbeitsteilung zwischen Kriminalpolizei und uniformierter Schutzpolizei auf der einen und den verschiedenen Dienststellen der Kripo auf der anderen Seite umständlich und aufwendig. Ein hoher Verwaltungsaufwand ist die Folge. Zudem ist die polizeiliche Hierarchie völlig ausgeufert.

Auf den einzelnen Polizeiabschnitten sei „etwa ein Drittel der eingesetzten Mitarbeiter im Basisdienst (...) überwiegend im Innendienst tätig. Tätigkeitsschwerpunkte (...) liegen bei Führungs- und Leitungsaufgaben sowie Aufgaben des Dienstbetriebes“, heißt es. Ebenfalls düster der Bereich der Technik. Der Ausstattungsstandard bei der Datenverabeitung gilt als „insgesamt unzureichend“, ihr Einsatz bei Ermittlungen als „zu gering“. Unbefriedigend auch die Situation im Funkstreifendienst und nahezu allen anderen polizeilichen Sparten. Somit war klar, daß in der Arbeitsorganisation etwas geschehen mußte.

Nach dem „Berliner Modell“ sollen künftig nun Schutz- und KriminalpolizistInnen in gemeinsamen Dienstgruppen zusammenarbeiten und SchutzpolizistInnen kleinere Delikte gleich von Anfang bis Ende in „Ein-Hand-Bearbeitung“ erledigen. Die Idee ist grundsätzlich richtig, ihre Umsetzung zeichnet sich allerdings durch eine Mischung aus Inkompetenz, persönlichen Eitelkeiten und Slapstick aus. Schon der Start der Erprobung mußte mehrfach verschoben werden. Die Technik machte nicht mit. Statt auf vorhandene Software zurückzugreifen, hatte man – quasi in Heimarbeit – ein eigenes System entwickelt. Als Folge stürzten die Laptops, mit denen in der für Kreuzberg und Neukölln zuständigen Direktion 5 die Vorgangsbearbeitung direkt vor Ort abgewickelt werden sollte, ständig ab. Der Fehler ist bis heute nicht restlos ausgeräumt. Daher machen sich die BeamtInnen nach wie vor zusätzlich handschriftliche Notizen.

Anfang Januar ist nun die neue Software, die dann doch für 60.000 Mark bestellt werden mußte, eingetroffen. Sie wird derzeit geprüft. Ein Versagen des eigenen Systems möchte Polizeipräsident Hagen Saberschinsky darin jedoch nicht erkennen. Das neue System sei lediglich „moderner, ausbaufähig und benutzerfreundlich“. So läßt es sich auch sagen.

Für Saberschinsky, der sein politisches Überleben im Amt von Anbeginn eng mit dem Reformprojekt verknüpft hat, ist das Modell seit der ersten Minute ein voller Erfolg. Schon nach kurzer Zeit sei die Aufklärungsquote in der Direktion 5 auf deutlich mehr als 50 Prozent gestiegen, während sie in allen anderen unter dieser Marke liege. Mehr als die Hälfte aller eingehenden Anzeigen würden nun von SchutzpolizistInnen erledigt, was zu einer erheblichen Entlastung der Kripo geführt habe.

Was der Präsident und sein Innensenator dabei gern übersehen, ist der Umstand, daß die Aufklärungsquote der Direktion 5 schon immer an der Spitze lag. Doch nicht nur Computerprobleme begleiten das „Berliner Modell“ bis heute. Auch bei der notwendigen Nachschulung der SchutzpolizistInnen gab es Schwierigkeiten. In Crash-Kursen waren diese auf ihre neuen Aufgaben in der kriminalistischen Ermittlungstätigkeit vorbereitet worden. Anschließend waren Nachschulungen nötig. Der Rest sollte durch „Learning by doing“ erfolgen.

Aus Sicht der Kripo klappt das jedoch kaum. Zwar gebe es bei älteren Beamten auch Ängste vor der neuen Technik, im Grunde sei es aber ein strukturelles Problem. Wer ständig wechselnde Aufgaben bewältigen müsse und nicht regelmäßig in gleicher Art und Weise mit der komplizierten EDV-Technik der Berliner Polizei zu tun habe, müsse damit beinahe zwangsläufig Probleme bekommen. Häufig müßten Vorgänge anschließend von der Kripo „nachbearbeitet“ werden. Auch findet aus ihrer Sicht eine saubere Vorgangsbearbeitung häufig nur noch dann statt, wenn die BeamtInnen schon bei der Anzeigenaufnahme das Gefühl haben, es könne bis zum Abschluß auch ihr Fall bleiben. „Die Ein-Hand-Bearbeitung ist ein respektabler Ansatz, aber in der Praxis so eben nicht durchführbar“, moniert der Bund Deutscher Kriminalbeamter.

Die Gewerkschaft der Polizei ist da anderer Ansicht. Nach anfänglichem Widerstand unterstützt sie das Modell inzwischen. Kritische Töne sind seither lediglich noch in Detailfragen zu hören. Die BeamtInnen vor Ort sind so zufrieden indes nicht. Allerdings äußern sie sich höchstens hinter vorgehaltener Hand. Mit Beginn des Probelaufs im Februar 1998 nämlich hatte der damalige Innensenator Jörg Schönbohm klargestellt, zum „Berliner Modell“ gebe es keine Alternative. Wer dagegen sei, habe bereits seinen Enddienstgrad erreicht: Edeka – Ende der Karriere heißt dies im Polizeijargon.

Aus der Direktion 4, die das „Berliner Modell“ noch in diesem Jahr übernehmen soll, ist zu hören, man hoffe inständig, daß die Ausweitung aus finanziellen Gründen vielleicht doch noch verschoben werden muß. Davon allerdings will auch Eckehardt Werthebach, der jetzige Innensenator, nichts wissen. Statt den bisherigen Probelauf (selbst-)kritisch zu überprüfen und Schwachstellen zu korrigieren, halten er und seine Polizeiführung an ihrer Planung fest. Ein im Grundsatz vernünftiges Polizeikonzept, dessen Notwendigkeit von niemandem ernsthaft in Frage gestellt wird, droht so am Ende aus Mangel an Akzeptanz zu Tode geritten zu werden.