Kriegsflüchtlinge unrechtmäßig in Haft

■ Der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht, Percy MacLean, hält Urteile gegen 30 Bosnier für rechtlich unhaltbar. Sie wurden wegen Sozialhilfemißbrauchs teilweise zu langen Haftstrafen verurteilt.

Nach Ansicht von Percy MacLean, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht, sitzen 30 bosnische Flüchtlinge unrechtmäßig in Berliner Gefängnissen.

Die Flüchtlinge, die während des Bürgerkrieges zunächst in Österreich Schutz gefunden hatten und nach Deutschland weitergewandert waren, sind zwischen 1995 und 1998 in Berlin wegen des Bezuges unrechtmäßiger Sozialhilfe verurteilt worden. „Die Urteile des Kammergerichts sind falsch“, sagt MacLean. Anstatt bei der Ausländerbehörde offenzulegen, daß sie zuvor in Österreich gelebt hatten, gaben die Flüchtlinge an, daß sie direkt aus Bosnien geflüchtet seien. Sie bekamen deshalb eine Duldung und wurden als sozialhilfeberechtigt anerkannt. Nach Angaben des Landeskriminalamtes (LKA) bezogen sie insgesamt Sozialhilfe im „sechsstelligen Bereich“. Dabei handelte es sich hauptsächlich um die Kosten für Wohnheimplätze.

Mitarbeiter der LKA-Arbeitsgruppe „Kriegsflüchtlinge“, die Sozialhilfemißbrauch aufspüren sollen, nahmen die Flüchtlinge daraufhin fest. Es kam zu Anklagen wegen Erschleichen von Sozialhilfe. Das Gericht verurteilte sie zu Haftstrafen zwischen eineinhalb und drei Jahren. Die Begründung: Weil sich die Flüchtlinge zunächst in Österreich aufhielten, hätten sie in der Bundesrepublik gar keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Hätten sie ihren Österreich- Aufenthalt bei der Ausländerbehörde angegeben, wären sie laut Gericht „sogleich nach Österreich abgeschoben worden“.

Nach Auffassung von Percy MacLean ist diese Begründung jedoch falsch. „Selbst wenn die Angeklagten angegeben hätten, sich zuvor in Österreich aufgehalten zu haben, hätten sie dorthin nicht abgeschoben worden können“, sagt MacLean. Denn es gebe kein entsprechendes Abkommen zwischen Österreich und Deutschland.

Seine Schlußfolgerung: Die Verurteilten hätten sowohl Anspruch auf Sozialhilfe sowie auf eine Duldung gehabt, bis eine Abschiebung nach Bosnien möglich gewesen wäre.

Dieser Auffassung schließt sich auch die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) an. Sie kritisiert zudem, daß die Arbeitsgruppe „Kriegsflüchtlinge“ regelmäßig in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecke, bosnische Flüchtlingsfamilen würden das Land um Sozialhilfe von mehreren hunderttausend Mark betrügen. Bei den vermeintlichen Betrügern habe es sich aber überwiegend um solche Bosnier gehandelt, die aus Österreich kamen. „Der Eindruck, der hier erweckt wird, ist falsch,“ so Carsten Kessel, Vorsitzender der ASJ, „aber wegen der horrenden Schadenssummen gut geeignet, die Bevölkerung gegen Bosnier insgesamt aufzuhetzen.“

Auch der innenpolitische Sprecher der Bündnisgrünen, Wolfgang Wieland, ärgert sich: „Es besteht der Verdacht, daß die Innenverwaltung das LKA aufgrund falscher Tatsachen ermitteln und den Staatsanwalt Anklage erheben läßt und dann zusieht, wie zu Unrecht verurteilt wird.“ Wieland wird deshalb jetzt eine kleine Anfrage an den Senat stellen.

Die Innenverwaltung wollte sich zu der Kritik MacLeans gestern nicht äußern: „Wir geben zu Rechtsurteilen keine Stellungnahme ab“, sagte Sprecher Martin Strunden. Julia Naumann