piwik no script img

■ Pampuchs TagebuchBildschirmhusten, stationär

Es kam, wie es kommen mußte. Meine liebe kleine Kiste, mein Herzblatt, ist nach einem halben Jahr doch ernsthaft krank geworden, und ich mußte sie in dem schönen bunten Rucksack, den ich eigens für sie gekauft habe, zum Onkel Doktor radeln. Der Bildschirmhusten ist immer schlimmer geworden. Das obere Drittel des Displays, da, wo die ganzen Befehle sind, ist immer häufiger einfach weggekippt und hat nur noch bleich, leer und ungesund dreingeschaut. Eine Zeitlang ist nach einem ermunternden Klaps das Bild wieder gekommen, doch es wurde Tag um Tag ärger. Also habe ich in meinem persönlichen Laptopshop angerufen und einen Termin ausgemacht. Die Krankenversicherungsgarantie läuft ja glücklicherweise ein Jahr lang.

Mein Laptopshop liegt im Münchner Rotlichtbezirk am Bahnhof, da, wo Erotikbars, Sexshops, Spielhöllen, Stundenhotels und Elektronikgeschäfte eine dynamische und friedvolle Koexistenz führen. Soft- und Hardware schienen mir immer eine hochaufgeladene erotische Konnotation zu haben, insofern verwundert mich diese Nähe überhaupt nicht. Rund um die Schiller- und Goethestraße tobt das Leben, und um so lieber lenkt der Besitzer eines Laptops (zu deutsch: „Schoßaufsatz – auch so eine Ferkelei, wenn man's recht bedenkt) seinen Schritt in diese Gegend.

Doch angesichts des Krankheitsfalls waren mir derlei Assoziationen diesmal fern. Herr Haberl von meinem Laptopshop setzte sich die Brille auf und befühlte vorsichtig Bauch und Rücken des Displays, drückte hier und klopfte dort, ließ mein Kistchen den Mund aufmachen, so weit es ging, und schaute ziemlich sorgenvoll. Beherzt griff er dann zu seinem Chirurgenbesteck und schraubte die Verkleidung ab. Erstmals sah ich in die Eingeweide meines AIO (All-in- one). Kein Blut, keine Kabelverletzungen, alles sauber und ordentlich, wie man es von einem gesunden, liebevoll behandelten Laptop erwartet. Doch gerade das ließ Herrn Haberl noch ernster blicken. „Es ist wohl das Display selber“ diagnostizierte er. „Da hilft nichts, wir müssen es einschicken.“

Also doch stationär. Ich erbleichte. „Ja, wohin denn?“ fragte ich angstvoll. „Ach, nur nach Holland“, meinte er. „Bis nach Holland?“ entfuhr es mir. „Sein's froh, daß die jetzt da ein Werk haben. Früher haben wir sie bis Taiwan schicken müssen.“ Taiwan! Wilde Bilder schossen mir durch den Kopf. Nicht nur Sextouristen fahren nach Fernost, nein, es gibt auch Hardware- Krankentransporte um die halbe Welt! Schwerstverletzte Displays, moribunde Festplatten, Towers am Tropf, zu Tausenden eingepfercht im Laderaum der selben Jumbos, wo oben die geilen Böcke sitzen. Hin und her! Globalisierung at its worst!

Ich tätschelte mein Kistchen. Holland ist schön. Tulpen, Grachten, Käse. In spätestens zwei Wochen ist es wieder gesund bei mir. Bloß, was mache ich derweil? „Ich kann ohne Kistchen nicht leben“, schluchzte ich. „Es ist mein alles, ohne Kistchen verarme ich, ökonomisch wie psychisch. Ich bin wie ein... wie ein Maler ohne Pinsel“, stieß ich hervor. Die Assistenzärztin, Frau Gawliczek, nahm mich beim Arm und sprach beruhigend auf mich ein. „Sie kriegen einen Ersatz“, sagte sie. „Sieht genauso aus, hat aber nur ein Dualscan Display, kein TFT, strahlt also nicht ganz so schön. Aber wir machen Ihnen die alte Festplatte rein. Dann bleibt das Wichtigste bei Ihnen.“

Das Herz meines Herzblatts ist also bei mir geblieben. Und in zwei Wochen, wenn der Frühling kommt, dann strahlen wir beide wieder. Mit neuem TFT – aus Amsterdam. Thomas Pampuch

ThoPampuch@aol.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen