Pick Pockets
: Lesen im Antlitz der Tiere

■ Kein Schwein blickt dich an. Und die Katze ignoriert dich: Literaten und ihre Freunde

„Mit allen Augen sieht die Kreatur / das Offene. Nur unsre Augen sind / wie umgekehrt und ganz um sie gestellt / als Fallen, rings um ihren freien Ausgang. / Was draußen ist, wir wissen's aus des Tiers / Antlitz allein; denn schon das frühe Kind / wenden wir um und zwingen's, daß es rückwärts / Gestaltung sehe, nicht das Offne, das / im Tiergesicht so tief ist. Frei von Tod.“ So lauten die ersten Zeilen von Rilkes achter Duineser Elegie, auch „Tier-Elegie“ genannt, die zwar mit beträchtlichem Pathos, aber ohne falsches Sentiment das Verhältnis Mensch/Tier auf einen lyrischen Begriff gebracht hat, der in solcher Schönheit und Klugheit unerreicht geblieben ist und nichts mit jener Rührseligkeit gemein hat, die oft zu triefen beginnt, wenn die sogenannte Tierliebe literarisch thematisiert wird. Seit Homer, Ovid und Äsop kreuchen und fleuchen, bellen und miauen, galoppieren und schleichen jedenfalls unzählige Tiergestalten durch die Literatur – von E.T.A. Hoffmanns „Kater Murr“ bis hin zu den Wunderpferden Karl Mays, vom Pudel in Goethes „Faust“ bis zu den Enten und Katzen in Henscheids „Maria Schnee“.

Eine – im doppelten Wortsinn – fabelhafte Tiergeschichte hat der amerikanische Romancier William Kotzwinkle, der mit „E.T.“ auch den berühmtesten Außerirdischen des Universums erfand, mit seinem Roman „Ein Bär will nach oben“ vorgelegt. Der Bär Hal Jam findet ein Romanmanuskript im Wald. „Also wirklich, sagte er sich, das ist gar nicht schlecht. Es gab viel Sex, und auch das Fischefangen kam nicht zu kurz. Dieses Buch hat einfach alles, fand er“, und beschließt, damit im Literaturbetrieb zu reüssieren. Der Jahrmarkt der Eitelkeiten schließt ihn als medientauglichen Naturburschen begeistert in die Arme. Eine saukomische und bärenstarke Satire auf die Verlags- und Medienbranche.

Unfreiwillige Komik ist oft die beste. Das gilt jedenfalls verschärft für die Sammlung aus Anekdoten, modernen Legenden und Pressemeldungen, die Gerda Wendel unter dem Titel „Katzenaugen für Kamele“ zusammengetragen hat. Es geht um die bizarren Blüten der sogenannten Tierliebe, um Stiefelchen für die Hunde der englischen Königin, Pferde in Windeln, Katzen in Waschmaschinen und alkoholsüchtige Ratten und Mäuse, die auf einer indischen Polizeistation den dort gelagerten konfiszierten Alkohol verputzten.

Wem das unglaubwürdig vorkommt, der greife zu Francesco Santoiannis informativer, locker geschriebener Studie „Von Menschen und Mäusen“, in der der italienische Autor eine Art Kulturgeschichte der nimmersatten Nager liefert – von der Mickey Mouse über die bedauernswerte Labormaus bis zur gentechnisch veränderten Superratte. Da Mäuse und Ratten für die Menschheit kaum nutzbar gemacht werden können, „repräsentieren sie bloß noch die blinde Reproduktionskraft einer Natur, die besonders heute als etwas Bedrohliches und Unbegreifliches angesehen wird. Auch darin liegt eine Ursache für die Projektion so vieler Bedeutungen und Ängste auf diese Tiere.“

Es mag mit solchen Ängsten zusammenhängen, daß in den zahlreichen Katzenbüchern, die sich einer nahezu krisensicheren Beliebtheit auf dem Buchmarkt erfreuen, das Jagdverhalten und die Revierrituale von Katzen fast immer ausgeklammert bleiben. Entweder haben die Autoren keine Ahnung, warum sich Katzen verhalten, wie sie sich verhalten; oder ihnen ist die Vorstellung unangenehm, daß ihr Kuschelkätzchen gegenüber Mäusen und Vögeln zum grausamen Minitiger mutiert; oder aber die betreffenden Katzen sind bereits derart vermenschelt, daß sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, ihren Instinkten zu folgen. Im Fall des als Katzenroman apostrophierten „Moon“ von Brigitte Riebe trifft all dies zu, und deshalb handelt es sich auch gar nicht um einen Katzenroman, sondern um eine auf witzig gequälte Familiengeschichte voll schwiemeliger Erotik und schwafelnder, selbstgebastelter Mondmystik – in der eben auch eine Katze herumgeistert.

Einen sehr viel klareren, komischeren und kitschfreieren Blick für das Verhalten von Hauskatzen zeigt der amerikanische Unterhaltungsautor Paul Gallico, der 1936 nach England übersiedelte und sich in seinem Haus 23 Katzen und eine deutsche Dogge hielt. Sein Katzenbuch trägt zwar in der deutschen Übersetzung den peinlichen Titel „Miau sagt mehr als tausend Worte“, beweist aber nachdrücklich, daß Gallico sich mit dem Verhalten seiner Hausgenossen genau auseinandergesetzt hat, bevor er die Ergebnisse seiner Beobachtungen in eine Art Handbuch für angehende Hauskatzen umsetzte.

Es gibt mehr Bücher über Katzen als über Hunde, und über das bemerkenswerte Verhältnis zwischen Katzen und Literaten ist viel kluges und noch viel mehr dummes Zeug gerätselt und geschrieben worden. Den vielleicht entscheidenden Punkt hat Gallico klar erkannt, wenn er seine Katze resümieren läßt: „Wenn du das Glück hast, bei einem Schriftsteller zu wohnen, darfst du auf die amüsantesten Stunden zählen, wenn du seine Anstrengungen behinderst: Er oder sie werden dir sehr dankbar sein, denn alle Schriftsteller, von denen ich je gehört habe, begrüßen freudig die durchsichtigste Ausrede dafür, um nicht zu schreiben.“ Klaus Modick

Rainer Maria Rilke: „Die Gedichte“. insel tb

William Kotzwinkle: „Ein Bär will nach oben“. rororo

Francesco Santoianni: „Von Menschen und Mäusen“. Serie Piper

Gerda Wendel: „Katzenaugen für Kamele“. Fischer TB

Brigitte Riebe: „Moon“. Serie Piper

Paul Gallico: „Miau sagt mehr als tausend Worte“. Ullstein TB