Schlimm: Der Eiswürfele-Prozeß

Neu-Ulm (taz) – Die Razzia kam überraschend. Fünf Polizeibeamte rückten beim Neu-Ulmer Importeur Hans Graf an, durchsuchten Wohnhaus, Garage und Geschäftsräume. Nachbarn kamen ins Stutzen. Soll der brave Mann etwas Schlimmes auf dem Kerbholz haben, etwas, das keiner von ihnen ahnte? „Hier wurde durchaus noch verhältnismäßig gehandelt und nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, kommentiert der Chef der Memminger Staatsanwaltschaft, Peter Stoeckle, das amtliche Vorgehen. Was war geschehen?

Hans Graf hat Plastik-Eiswürfel, in Baden-Württemberg kurzerhand „Eiswürfele“ genannt, aus Asien importiert. Das ist seit dreißig Jahren sein Geschäft: originelle Dinge importieren, die dann in Form von ungewöhnlichen Grills, schönen Skulpturen oder eben als mit Wasser gefüllte und wiederverwertbare Eiswürfel in Früchteform sommerliche Getränke zieren. Just die letztgenannten Eiswürfele waren Anlaß für die spektakuläre Justizaktion. Laut Erkenntnis eines Stuttgarter Untersuchungsamtes sind die Objekte des Anstoßes mit 21,5 mal 45, 8 Millimeter um einen halben (!) Millimeter zu klein. Wegen dieses halben Millimeters bestehe, so das Amt, die Gefahr, daß Kinder die Plastikfrüchte verschlucken könnten.

Hans Graf zweifelt zwar daran und beteuert, er habe selbst nach der Polizeiaktion vergeblich versucht, solche Früchte zu verschlucken, was ihm nicht gelungen sei. Gleichwohl wäre er ja jederzeit bereit gewesen, diese Plastikteile aus dem Sortiment zu nehmen, wenn er denn noch welche gehabt hätte. Das Landratsamt Neu-Ulm habe, so der Memminger Staatsanwaltschaftschef, nach einem vergeblichen Versuch, die Verkaufswege nachzuvollziehen, die Hausdurchsuchungen angeregt und die Staatsanwaltschaft sie daraufhin beantragt. In diesem Zusammenhang hat die Ermittlungsbehörde schließlich einen Strafbefehl in Höhe von 4.500 Mark „wegen des fahrlässigen Inverkehrbringens von Erzeugnissen, die keine Lebensmittel sind, aber so aussehen“, gegen den Herrn Graf erlassen, der daraufhin Einspruch eingelegt hat, der schließlich vor dem Neu-Ulmer Amtsgericht verhandelt werden mußte. Die Verhandlung wurde nach kurzen Erörterungen vertagt, neue Beweismittel sollen bis zum neuen Termin Anfang Februar von der Staatsanwaltschaft beigebracht werden.

In einer Reihe von deutschen Läden, von Supermärkten bis hin zu Möbelmärkten, werden laut Graf nach wie vor diese Plastikfrüchte unbeanstandet verkauft. Doch die Memminger Staatsanwaltschaft sieht nach wie vor keinen Grund, von einem überzogenen Vorgehen zu sprechen. Graf könne sich schließlich vor Gericht zur Wehr setzen, wenn er dies für nötig erachte. Klaus Wittmann

Wahrheitmaßstab: taz-Repro