Das Portrait
: Heldenkritiker aus Passion

■ George L. Mosse

Vor knapp zwei Jahren hielt er in Berlin die Eröffnungsrede zur Ausstellung „100 Jahre Schwulenbewegung“. Das Auditorium wußte mit diesem kleinen freundlichen Herrn aus den USA wenig anzufangen und applaudierte am Ende höflich. Was George L. Mosse zu sagen hatte, war auch ein Teil seines intellektuellen Testaments: Fallt nicht auf die bürgerliche und nationalistische Moral des männlichen Heldentums herein, begreift eure Homosexualität als Chance, mit den Stereotypen von Tapferkeit und Disziplin zu brechen.

Mosse hatte sein überwiegend junges Publikum, aufgewachsen in der liberalen Zeit der Bundesrepublik, vielleicht ein wenig überfordert. Doch der geborene Deutsche, der noch die Weimarer Republik kennengelernt hat, wußte sehr genau, wovon er sprach. Als George Lachmann-Mosse 1908 in Berlin als Enkel des liberalen Verlegers Rudolf Mosse aufgewachsen, mußte er 1933 emigrieren. Zunächst nach Frankreich, dann nach England, schließlich in die USA. Dort machte er Karriere als NS-Historiker. Seit 1962 hatte er an der Hebrew University von Jerusalem einen Lehrstuhl inne. Später lehrte er in Südafrika, in München, Stanford und Amsterdam.

Anders als die meisten seiner Fachkollegen ließ sich Mosse nie auf simplifizierende Erklärungen der NS- Katastrophe ein. Das Tausendjährige Reich mit vulgärmarxistischen Kategorien zu erklären (“Das Großkapital“), war in seinen Augen nur ein Ausdruck von Unwilligkeit, die eigenen, auch linken Ideologien zu überprüfen. Mosse mochte sich deshalb nie mit kommunistischen Vorstellungen anfreunden. Er hielt übersteigerte Männlichkeit, also das moralische Verbot, als Mann weibliche Gefühle zu zeigen, für eine entscheidende Voraussetzung für die Etablierung totalitärer, vor allem faschistischer Systeme.

Vor zwei Jahren erschien sein letztes Buch auf deutsch: „Konstruktion der modernen Männlichkeit“ liest sich wie ein wissenschaftlicher Alptraum, der am Vorabend der NS-Machtergreifung geträumt wurde und an den man sich erst viel später erinnern konnte. Mosse meinte damals in Berlin: „Wer über falsche Männlichkeit nicht nachdenken will, wird nicht erkennen, warum die heutigen Neonazis meist ängstliche Männer sind.“ Vor drei Tagen ist George L. Mosse in den USA gestorben. Jan Feddersen