■ Nordirland: Der Mord an dem früheren IRA-Mann Eamon Collins
: Machtspiele

Die Warnungen standen im nordirischen Newry seit Monaten an den Wänden: „Collins, 1999 ist dein Todesjahr.“ Der Mord an Eamon Collins, der oft mit Eimer und Farbe unterwegs war, um die gegen ihn gerichteten Graffitti zu übermalen, kommt nicht überraschend. Er hat sich erst als IRA-Mann, dann als Polizei-Informant zu viele Feinde gemacht, als daß ihm in Newry allzu viele nachtrauern werden.

Collins war berühmt, sein Buch wurde in viele Sprachen übersetzt. Sein Tod lenkt die Aufmerksamkeit auf die mörderischen Strafaktionen, die mit dem britisch-irischen Abkommen 1998 eigentlich vorbei sein sollten. Alle Parteien haben sich den „Mitchell- Prinzipien“ verschrieben, die der Ex-US-Senator und Leiter der Friedensverhandlungen, George Mitchell, aufstellte. Und dazu gehört eben auch der Verzicht auf Strafaktionen.

Die Tatsache, daß die Zahl solcher Aktionen statt dessen zunahm und nun den Höchststand seit Ausbruch des nordirischen Konflikts vor 30 Jahren erreicht hat, wollen Tories und Unionisten zu ihrem eigenen politischen Vorteil ausnutzen: Die Tories, die seit der heftigen Wahlniederlage vor 20 Monaten wie gelähmt sind, wollen mit ihrer Initiative gegen die Freilassung politischer Gefangener ein wenig eigenes Profil erwerben, nachdem sie die Labour-Nordirlandpolitik bisher kopfnickend abgesegnet haben. Unionistenchef David Trimble sieht eine Möglichkeit, die Strafaktionen dafür zu nutzen, den Friedensprozeß zu bremsen, da er demnächst eine Regierung unter Beteiligung von Sinn Féin, dem politischen IRA-Flügel, bilden soll – was ihm seine eigene Parteibasis so schnell nicht verzeihen würde.

Strafaktionen und Regierungsbeteiligung von Sinn Féin hängen tatsächlich zusammen, aber in ganz anderer Weise, als Trimble behauptet: Die Statistik der vergangenen 30 Jahre belegt, daß die Strafaktionen stets in Zeiten politischer Instabilität zunahmen. Am höchsten war die Zahl immer dann, wenn das unionistische Lager in der Klemme war: Mitte der 70er, als die Katholiken an der Macht beteiligt werden sollten; 1989, als London offizielle Gespräche mit Sinn Féin aufnahm, oder 1995, als die nordirische Polizei drei Tage lang den Marsch des protestantischen Oranier- Ordens durch ein katholisches Viertel verhinderte. Auf IRA-Seite stieg die Zahl der Strafaktionen meist, wenn die militärische Kampagne ruhte.

Würde London nun die Freilassungen der politischen Gefangenen stoppen und ein Ende des Waffenstillstands in Kauf nehmen, würden die Strafaktionen zurückgehen. Manchen in Nordirland käme das nicht ungelegen. Ralf Sotscheck