Die Spielregeln des Widerstandes

■ Die CDU-Unterschriftenkampagne: Nur ein „Eigentor“ oder der Auftakt zu Pogromstimmung? Die SPD setzt auf Aufklärung, AntifaschistInnen wollen die CDU stoppen. Ein Streitgespräch

taz hamburg: Warum haben die Proteste in Rahlstedt Sie so empört?

Böwer: Ich glaube, daß man es der CDU damit sehr einfach macht. Solche Aktionen mit Krawall stilisieren Täter zu Opfern. Der CDU-Landesvorsitzende Dirk Fischer kann sich vor die Kamera stellen und sagen: Das ist undemokratisch. Was hinter dem Gedanken der doppelten Staatsangehörigkeit steht, nämlich eine neue Qualität von Einbürgerungspolitik in der Bundesrepublik, geht verloren.

Steffens: Ich denke, daß wir mit dieser Aktion der CDU notwendige Grenzen setzen. Eskaliert ist es erst, als das zivile Einsatzkommando sich eingeschaltet hat. Ich bedaure aber auch nicht, daß Unterschriftenlisten auf den Boden gefallen sind und der Tisch umgestoßen wurde. Denn es ist die CDU, die durch ihre Unterschriftensammlung die Eskalation auf die Straße trägt.

Quante: Die CDU bewegt sich nicht mehr im demokratischen Diskurs. Sie diskutiert nicht an ihren Ständen, sondern bietet Leuten einen Raum, ihren Rassismus öffentlich zu äußern. Dem muß man etwas entgegensetzen.

Böwer: Aber was bringt die Aktion? Und was bringt ein derartiger Verbal-Radikalismus? Sie gehen sehr flott mit einem Vokabular wie Rassismus um. Was bringt der Ansatz zur Meinungsbildung innerhalb der Bevölkerung, die über die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft noch nicht ausreichend informiert ist?

Quante: Die CDU will gar nicht informieren.

Böwer: Aber wir müssen informieren. Sie machen den Job der CDU. Sie bedienen genau die gleichen Bereiche: Emotionalisieren, ohne Sachaussagen zu bringen.

Steffens: Wir haben Flugblätter an die Bevölkerung verteilt.

Was tut die SPD, um der CDU Einhalt zu gebieten und aufzuklären?

Böwer: Wir informieren unsere Mitglieder.

Die wohl ohnehin kaum bei der CDU unterschreiben. Wie soll das einer fremdenfeindlichen Stimmung entgegenwirken?

Böwer: Um Akzeptanz zu schaffen, müssen wir in Gesprächen im Betrieb oder im Bekanntenkreis inhaltssicher sein. Deshalb gehört man der Partei der Aufklärung an.

Auf die Straße gehen die antifaschistischen Gruppen auch. Da habt Ihr den gleichen Ansatz.

Quante: Es ist auch richtig, aufzuklären und zu informieren. Ich kann mich aber nicht auf die Moral zurückziehen und sagen: „wir sind die Partei der Aufklärer“, wenn ich sehe, daß die CDU vorauseilt und ich kaum hinterherkomme.

Böwer: Aber die CDU schießt sich damit ein Eigentor.

Quante: Mit der Konsequenz, daß sie ein Podium für Rassisten eröffnet hat. Da muß man eine Grenze ziehen. Man darf die CDU nicht machen lassen und hinterher sagen, das finden wir ganz schlimm.

Böwer: Woher nehmen Sie die Legitimation?

Steffens: Hier mobilisieren die Vertreter der Mehrheitsgesellschaft den rassistischen, chauvinistischen Mob auf der Straße gegen Minderheiten. Das hat es schon einmal mit der Asylrechtkampagne gegeben. Damals hat es nicht lange gedauert, bis es zu körperlicher Gewalt gegen Flüchtlinge kam. Die antirassistische Linke hat das zwar thematisiert, ist aber erst viel zu spät auf die Straße gegangen: als die Unterkünfte bereits brannten. Diesmal müssen wir rechtzeitig Grenzen setzen. Daraus ziehe ich meine Legitimation.

Böwer: Die Motivation ist nobel. Sie sind trotzdem auf dem Holzweg. Man muß der CDU-Kampagne den Boden entziehen – durch Charme, Aufklärung und Information.

Und wenn Sie das mit Ihren Mitteln nicht schaffen? Dann könnte eine gesellschaftliche Gruppe, die Nichtdeutschen, akut gefährdet sein. Was tut die SPD, um sie zu schützen?

Böwer: Das kann ich Ihnen sagen: Die SPD verändert zusammen mit den Grünen ein Gesetz im Bundestag. Wir organisieren das Staatsbürgerrecht neu.

Mit einem Gesetz erreichen Sie nicht die Bürger, die für die CDU-Kampagne empfänglich sind und eventuell Ausländer attackieren.

Böwer: Ich erreiche eines: eine bessere Qualität der Politik miteinander.

Steffens: In dem Gesetzentwurf, den Innenminister Otto Schily vorgelegt hat, kann ich nichts qualitativ Neues erkennen. Danach wird die Einbürgerung allen AusländerInnen verwehrt, die polizeilich in Erscheinung getreten sind, Arbeitslosenhilfe empfangen oder sich nicht zur Verfassungstreue bekennen. Das ist die alte Selektion nach Verwertungsinteressen.

Böwer: Wir müssen Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung erreichen. Die Frage der Straffreiheit bei der Einbürgerung etwa ist dafür ganz wesentlich.

Steffens: Da geben Sie der CDU nach. Die Grenzen, die wir setzen müssen, weiten Sie in vorauseilendem Gehorsam aus.

Böwer: Akzeptanz hat nichts mit vorauseilendem Gehorsam zu tun.

Glauben Sie nicht, daß sich Nichtdeutsche über die Proteste in Rahlstedt gefreut haben?

Böwer: Nein. Weil es die Lage der in Hamburg lebenden Ausländer nicht verbessert.

Es ist ein Zeichen, daß jemand Partei für sie ergreift.

Böwer: Die Behauptung, niemand nehme sich des Themas an, wundert mich. Wir haben die Diskussion, weil die Mehrheit der Bevölkerung eine neue Regierung gewählt hat. Und weil diese das Staatsbürgerrecht neu gliedert.

Ihr wollt der CDU Grenzen setzen. Aber könnt Ihr der Bevölkerung Euren Standpunkt vermitteln?

Quante: In Stadtteilen wie Rahlstedt wird eine Stimmung geschaffen, die später verhindert, daß das neue Staatsbürgerrecht positiv umgesetzt werden kann. Gegen diese Polarisierung müssen wir intervenieren und sagen, daß wir keine Ausländerfeindlichkeit dulden.

Böwer: Sie polarisieren genauso. Damit erreichen Sie keine Akzeptanz. Wenn man etwas eskaliert, schafft man Angst.

Worin liegt die Eskalation, wenn man einen Tisch umwirft?

Böwer: Das ist schlichtweg Gewalt.

Steffens: Wir haben zunächst Flugblätter verteilt. Aber natürlich kann man an CDU-Ständen mit den Bürgern nicht über alles diskutieren. Ich diskutiere nicht darüber, ob Ausländer tatsächlich ins Arbeitslager sollen oder nicht.

Böwer: Ich kenne die Situation auch, daß ich an Informations-Ständen sagen muß: „An dieser Stelle brauchen wir nicht mehr zu diskutieren.“ Aber Gewalt? Nein danke!

Quante: Ein Büchertisch ist ein Büchertisch. Der ist nicht mal zerstört worden. Es war Randale auf ganz niedrigem Level. Wenn andererseits in Hamburg Übergriffe von Deutschen auf Nichtdeutsche passieren, wird dazu geschwiegen. Da fehlt ein realistisches Verhältnis.

Steffens: Ich hoffe, daß an diesem Wochenende wieder genügend Leute auf die Straße gehen und in der ihrer Meinung nach gebotenen Form mitteilen, was sie von der Kampagne halten.

Quante: Sie haben vorhin von Angst gesprochen. Ich habe eher Angst davor, daß AusländerInnen sich nicht mehr trauen, sich in Hamburg öffentlich auf der Straße zu bewegen.

Böwer: Es gibt ein deutliches Signal von den Kirchen, Gewerkschaften und übrigen Parteien gegen die Aktion der CDU. Die wird ihre Quittung bekommen.

Die Kampagne gefährdet also nur die CDU selber? Deshalb muß man sie nicht aufhalten?

Böwer: Wir tun doch etwas dagegen. Wir schaffen ein neues Staatsbürgerrecht. Aber wir lassen den Tisch von diesen Verwirrten stehen.

Moderation: Heike Dierbach / Elke Spanner