Säuberlich gehäkelte dritte Zähne

■ „Needleworks“: Patricia Waller blickt in der Galerie Deschler mit feiner Masche in Abgründe. Achtung, diese Kuschelmonster beißen!

Mitte der Achtziger wollte Patricia Waller, gelernte Bildhauerin, noch als gesellschaftskritische Künstlerin ihren Mann stehen. Ganz kritisch und voll bewußt schleppte die zierliche Studentin (157 Zentimeter) ihre Zementsäcke selbst in den ersten Stock. Als sie jedoch bald unter Schmerzen erkannte, daß gleiches Recht nicht mit gleicher Pflicht einhergehen kann, setzte sie die Waffen einer Frau ein: Als Häkelliesel pikiert die 36jährige nun die Gesellschaft und ihre Phänomene.

Ihre ironischen Häkelarbeiten kommentieren den Abgrund alltäglicher Perversitäten in Bereichen wie Organhandel, Prothesenmedizin, Tierversuche, virtuelle Realität und Stellung der Frau. Schauerlich süß schauen aus schwarzen Knopfaugen kleine genmutierte Kuschelmonster, die völlig verdrahtet auf den nächsten Stromstoß zu warten scheinen. Auch die fein abgetrennten Finger und Augenbälle, die säuberlich gehäkelten dritten Zähne und das Herzorgan, mit blauen Venen bestickt, wirken, alle ordentlich in Wassergläser eingelegt, klinisch niedlich, hübsch und abstoßend zugleich.

Ihre Masche, durch nette Sticheleien den Betrachtern ein Lächeln zu entlocken und doch das Lachen im Halse stecken zu lassen, zieht sich durch all ihre Strickskulpturen. Und doch wurde sie zunächst nur von ihren männlichen Kollegen belächelt, als sie vor acht Jahren Hammer und Meißel gegen Nadel und Faden eintauschte – und das bei einer Vier im Schulfach Handarbeit. Aber die „liebe Kleine“, die mit den feuerroten Locken und dem großen roten Herz auf ihrem schwarzen Kleid als Pumuckls Freundin durchgehen könnte, muß nicht draufhauen, um zu wirken, sie weiß, wie der Faden läuft.

Daß sie sich dem Material Wolle verschrieben hat, einem Stoff, der normalerweise Wärme und Geborgenheit vermittelt, wirkt durch die Verfremdung um so entblößender, die dem Thema entgegengesetzte Kuscheligkeit um so gewaltsamer.

Die überaus einfallsreiche Konzeption der Ausstellung trägt dabei entscheidend zu Schockeffekten bei: So stolpert man beinahe über das rosa gehäkelte Embryo, das über seine Nabelschnur mit der Steckdose verbunden ist, oder man stutzt über eine geschickt drapierte Bananenschale.

Auch die Ausrutscher Patricia Wallers in die Welt der virtuellen Realität stehen ihrem allgemeinen Stichelkurs in nichts an Schärfe nach. Die beliebte Hausfrauentradition, Ölgemälde „alter Meister“ nachzusticken, griff Waller auf, um sie in ihren Computerbildern umzusetzen. Das nachgestickte Computerbild zeigt Dürers Betende Hände mit der Aufforderung „Pray For...“ in Computertyp als Überschrift und einer Symbollatte zur Auswahl: Begehrt man Geld, Liebe, Ruhm, Eigentum oder Luxus?

Mehr Wahlmöglichkeiten gibt es nicht. Fünf bis acht Stunden häkelt sie täglich, doch ein Pullover ist dabei nie zustande gekommen, da häkelt sie lieber was Anständiges, wie die mit Blümchen- oder Kaffeekannenmuster bestickten Greifapparate, die die Stellung der Frau und Mutter kommentieren, oder am neuen Lieblings-Millennium-Thema. Aliens. Patricia Caspari

Patricia Waller: „Needleworks“. Bis 6.März in der Galerie Deschler, Auguststr. 61, Mitte