Hunger nach Arbeit

■ Zehn MitarbeiterInnen des Krankenhauses Moabit verweigern aus Protest die Nahrung

Und dafür hat sie extra Urlaub genommen? Ulrike Mottschall ißt nichts, trinkt deshalb um so mehr. „Wie lange ich das durchhalte, weiß ich nicht“, sagt die zierliche Krankenschwester. Sie nippt mit verkniffenem Lächeln an der Tasse mit Kamillentee. Seit Tagen bekommt sie kaum einen Bissen herunter, seit gestern will sie das auch gar nicht mehr. Die 44jährige will warten, zusammen mit neun anderen KollegInnen im Hungerstreik im verlassenen dritten Stock des Gebäudes M, in der ehemaligen chirurgischen Station des Krankenhauses Moabit.

Denn zur gleichen Zeit berät der Koalitionsausschuß von CDU und SPD über die Schließung der Krankenhäuser. Die Chancen, daß es Moabit treffen könnte, stehen leider nicht schlecht. Denn bei allen Entwürfen, die Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) in den vergangenen Wochen vorlegte, blieb ein Name gleich: Krankenhaus Moabit. Gestern sollte endgültig entschieden werden.

Die Hungerstreikenden haben im Flur zwei Tische zusammengeschoben, Zeitungen und Spiele wie Monopoly sollen die Zeit vertreiben. In den Zimmern liegen bezogene Matratzen auf dem blanken Linoleumboden. Es gibt nur ein richtiges Krankenbett. Für wen es gedacht ist, verrät das Schild daneben: „Reserviert für Gesundheitssenatorin Hübner“. Eine Krankheit wollen die Klinikmitarbeiter dieser Dame damit nicht an den Hals wünschen.

Für Krankenschwester Mattscholl geht es um die Existenz. Sie allein ernährt ihre fünfköpfige Familie. „Inzwischen wäre es mir sogar lieber, wenn sie sagen, daß Moabit geschlossen wird – nur diese Ungewißheit, das geht nicht.“ Drei Kilo hat sie in den vergangenen Tagen abgenommen.

Trotz beißender Kälte warten am Nachmittag 500 Menschen vor dem Krankenhaus auf den Beginn der Demonstration. Nach ersten spontanen Protesten hat der Betriebsrat zur Demo aufgerufen. In der ersten Reihe steht die Politprominenz des Bezirks: Tiergartens Bürgermeister Jörn Jensen, der gesamte Stadtrat, die Bürgermeister von Mitte und Wedding. Am Ziel der Demonstration, dem Großen Stern, hören die Menschen die Versprechen der Politiker. Wie das von Volker Liepelt, dem CDU- Generalsekretär: „Wenn die Krankenkassen den Versorgungsauftrag für Moabit kündigen, wird der Senat protestieren.“ Ulrike Mottscholl hört die Worte nicht. Sie ist im Krankenhaus geblieben. Wer für den Arbeitsplatz fastet, kann auf solche Reden verzichten. Ilja Weitzel