Die Monopole bleiben erhalten

■ Noch findet der Wettbewerb auf dem Strommarkt für Endverbraucher nicht statt. Hohe Durchleitungsgebühren blockieren viele Ökostrom-Anbieter. Einige Stromkonzerne weigerten sich über mehrere Monate, überhaupt

„Die Monopole sind längst noch nicht geknackt“, schimpft Marcus Mattis, Mitglied der Geschäftsführung der Vasa Energy in Hamburg. Seit Ende April vergangenen Jahres herrscht zumindest theoretisch freier Wettbewerb auf dem Strommarkt. Die Energiekunden können sich ihre Lieferanten frei auswählen, so will es das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). Großkunden wie Bosch, Metro, DaimlerChrysler und Karstadt haben längst die Gunst der Stunde genutzt, gepokert und sich unter den verschiedenen Anbietern den für sie günstigsten rausgefischt.

Doch das sind bislang noch Ausnahmen. Ein gewichtiges Hindernis steht der freien Lieferantensuche noch im Weg: Nach wie vor sind die acht großen Stromkonzerne RWE, PreussenElektra, Energie Baden-Württemberg (EnBW), Bayernwerk, VEW, HEW, Beag sowie Veag die Eigentümer der Stromnetze. Weil aus Kosten- und Umweltgründen der Bau zusätzlicher Leitungen die Ausnahme sein dürfte, bleiben für die Übertragung und Verteilung des Stroms also zwei Monopole erhalten. Die alten Gebietsmonopole der Stromversorger sind dem Monopol der Netzbesitzer gewichen. „Wer das Netz hat, der hat die Macht“, erklärt Thomas Reetz, Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW.

Die neue Freiheit der Kunden am deutschen Strommarkt hält sich noch in sehr engen Grenzen. In der Praxis wird dem Verbraucher der Versorgungswechsel von den ehemaligen Monopolunternehmen schlicht unmöglich gemacht. Denn die Grundvoraussetzung für einen fairen Wettbewerb ist der diskriminierungsfreie Stromnetzzugang, und zwar für alle Teilnehmer. Anders als in liberalisierten Energiewirtschaften des Auslands verzichtet das EnWG auf einen regulierten Netzzugang und auf einen Regulierer zur Überwachung der Netzmonopole, wie er beispielsweise für die Telekommunikation eingeführt wurde. Gesetzlich verbindliche Regelungen gibt es nicht.

Die Ausgestaltung der Durchleitungsverfahren ist hierzulande privatwirtschaftlich gelöst worden. Im Mai 1998 einigten sich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) und die Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) in einer sogenannten freiwilligen Verbändevereinbarung (VV) über die Bestimmung von Durchleitungsentgelten und grundlegende Prinzipien des Netzzugangs. Nur so konnte eine gesetzliche Regelung umgangen werden. Sie soll bis Ende September dieses Jahres gelten.

Die Regelung des Netzzugangs ist die Achillesferse des Gesetzes: 930 Energieversorgungsunternehmen (EVU) müssen sich bundesweit über die Festlegung und die Abwicklung der Netzgebühren einigen. „Da ist das Chaos programmiert. Man wird den Eindruck nicht los, daß die Verbändevereinbarung letztlich ein Instrument zur Verhinderung des freien Wettbewerbs ist“, meint Dieter Seifried, Energieexperte des Öko-Instituts in Freiburg. Von den etablierten Stromkonzernen sind die Konditionen für die Durchleitung bisher erst in wenigen Ausnahmefällen veröffentlicht worden. Im Internet haben seit Ende November EnBW, HEW, die Kölner GEW, RWE und VEW ihre Preisvorstellungen bekanntgegeben. Einige Unternehmen weigerten sich über mehrere Monate, Anträge zur Stromdurchleitung überhaupt zu bearbeiten.

Die Kritik am Verhalten der Leitungseigentümer nimmt zu. Eine bunte Allianz, die von Greenpeace über diverse Stadtwerke bis hin zu neu am Markt aufgetauchten Ökostrom-Händlern reicht und auch ausländische Newcomer wie Enron aus den USA und Vasa Energy mit Schwedens Vattenfal als Hauptaktionär miteinschließt, schießt gegen die Geschäftspraktiken der großen Stromer. Greenpeace-Energieexperte Seven Teske: „Als Netzbetreiber, die über die Durchleitung für Konkurrenzstrom entscheiden, sind die Stromkonzerne noch immer Monopolisten alten Stils, die ihre marktbeherrschende Stellung mißbrauchen.“ Und weil es keine staatliche Regulierungsbehörde gibt, können RWE & Co. ihre Marktmacht ausspielen.

Ein fairer Wettbewerb ist allein schon deswegen nicht möglich, weil bei einer Hochspannungsübertragung (220/380 Kilovolt) ab 100 Kilometern ein entfernungsabhängiger Preis fällig wird. Dieser Zuschlag macht ausländischen Anbietern wie der Vasa das Leben auf dem deutschen Strommarkt schwer. Während die Vattenfal- Tochter ab dem Ort an der norddeutschen Grenze, wo der skandinavische Strom in das deutsche Netz eingespeist wird, den Zuschlag zahlen muß, kann PreussenElektra dies umgehen. Würde der Konzern aus Hannover seinen Strom im Raum Stuttgart anbieten, müßte er erst ab seinem letzten Umspannwerk, zum Beispiel in Hessen, die Durchleitungsgebühr zahlen. „Mit allen Mitteln werden neue Anbieter bekämpft. Die Verbundunternehmen versprechen vollmundig marktwirtschaftliches Verhalten, in Wirklichkeit verhindern sie eine Senkung des Strompreisniveaus“, sagt Vasa-Manager Mattis.

Nur über eine Reform der Verbändevereinbarung, so Branchenkenner, könnte ein Wettbewerb ohne Netzdiskriminierung entstehen. So fordert nun auch der VIK, Mitunterzeichner der Verbändevereinbarung, daß bei der Kalkulation der Durchleitungsentgelte künftig auf eine Entfernungskomponente verzichtet wird. Auch für die Höchstspannungsebene böte sich ein „Briefmarkentarif“ an, also zum Beispiel ein fester Betrag pro Kilowattstunde, wie er bereits auf der Verteilerebene bis 110 Kilovolt gültig sei. Die Geschichte verspricht spannend zu werden. Die Durchleitung, so der kühle Vasa-Rechner Mattis, müsse so umgestaltet sein, daß alle Stromanbieter den gleichen Preis für die Netzbenutzung unabhängig von der Entfernung zu bezahlen haben. „Dieser Preis muß nachvollziehbar sein und nicht jedesmal individuell neu verhandelt werden“, meint er.

Heftig kritisieren vor allem die Unternehmen die Blockadehaltung der Netzmonopolisten, die ihren Kunden Strom aus umweltfreundlichen Energien anbieten. „Die horrenden Durchleitungsgebühren von bis zu 27 Pfennig pro Kilowattstunde verhindern momentan noch eine zeitgleiche Versorgung der Kunden“, sagt Ralf Bischof, Vorstandsmitglied der Düsseldorfer Naturstrom AG. Der im Frühjahr 1998 aus der Taufe gehobene Ökostrom-Händler hat bereits knapp 1.200 Kunden mit einem geschätzten Volumen von nehr als drei Millionen Kilowattstunden (kWh) unter Vertrag. Wer in der Düsseldorfer Zentrale Naturstrom bestellt, der bekommt den Strom wie bisher üblich von seinem alten Versorger frei Steckdose geliefert. Die Rechnung geht aber an die Naturstrom AG. Sie bezahlt die Lieferung zum Beispiel bei den RWE, und der Kunde erhält eine neue Abrechnung, die einen Ökoaufschlag enthält. Mit den Mehreinnahmen soll der Bau neuer regenerativer Anlagen finanziert werden. Ähnlich funktioniert das Modell der Schönauer „Stromrebellen“. Sie erheben einen Aufschlag von acht Pfennig je kWh von ihren Kunden. Mit dem Geld sollen umweltfreundliche Stromquellen erschlossen werden.

Wer künftig seinen Strom bei einem Ökostrom-Händler bestellt, der sollte sich darüber im klaren sein, daß aus seiner Steckdose kein grüner Strom fließen kann, sondern immer nur ein Mix aus dem im Netz vorhandenen Strom. „Es ist völlig illusorisch zu glauben, daß ich als Ökostrom-Kunde in München Windstrom von einer Anlage an der Nordsee beziehen kann. Das ist technisch und auch physikalisch nicht machbar“, sagt Dieter Seifried. Trotzdem kann eine Energiewende von unten durch eine Vielzahl von Ökostrom-Käufern eingeleitet werden. Denn je mehr sauberer Strom durch die neuen Anbieter ins Netz gespeist wird, um so größer ist folglich der Gesamtanteil im Energiemix. „Und darauf kommt es doch wohl an“, so der Mitarbeiter des Freiburger Öko-Instituts. Michael Franken