Colts bald teuer wie Marlboros?

Vorbild Zigaretten: Bürgermeister verklagen Waffenfirmen  ■ Aus Washington P. Tautfest

Der große Mann mit schmalem Schnurrbart ist sich seiner Wirkung bewußt. Er tritt ans Podium und hält eine Pistole wie eine Trophäe hoch: „Sie hat einen denkbar einfachen Mechanismus“, erklärt er triumphierend, „der verhindert, daß sie versehentlich oder von jemand anders als dem Besitzer abgefeuert werden kann.“ Marc Morial, der Bürgermeister von New Orleans, ist ein Star unter den Bürgermeistern, die ihn hier umringen. Er ist vorangegangen, drei andere haben es ihm nachgetan, etliche wollen folgen. Ihr Schritt ist das heißeste Thema auf der diesjährigen Konferenz der amerikanischen Bürgermeister, die in dieser Woche im Washingtoner Hilton Hotel tagt: die Klage gegen die Hersteller von Handfeuerwaffen.

Nach New Orleans klagen Chicago, die Stadt Bridgeport im Bundesstaat Connecticut und jetzt auch Miami/Dade County. Die Städte Philadelphia, Detroit und Baltimore wollen folgen, überlegen aber noch. Angeregt wurden die Verfahren vom Erfolg der Milliarden-Klagen gegen die Tabakindustrie. John P. Coal, ein Washingtoner Anwalt, gründete 1994 in New Orleans die sog. Castano- Gruppe, eine Koalition von 60 Anwälten, die gegen die Tabakindustrie prozessierten. „Letztes Jahr ist die Stadt New Orleans an uns herangetreten“, berichtet er. „Könnte gegen Waffenhersteller nicht die gleiche Strategie glücken, die gegen die Tabakindustrie so erfolgreich war? Könnte man nicht wegen der Schäden klagen, die den Städten und Gemeinden durch den illegalen oder unsachgemäßen Gebrauch von Handfeuerwaffen erwachsen?“ Coal hat die Herausforderung angenommen.

1996 wurden in den USA 34.000 Menschen durch Schußwaffen getötet. Etwa 100.000 wurden verletzt – davon 20 Prozent durch versehentlich gelöste Schüsse. Die Kosten gehen in die Milliarden. Besonders Kinder sind gefährdet, denen Pistolen und Revolver in die Hand fallen. Pro Tag stirbt in Amerika ein Kind durch unbeabsichtigte Schüsse, weitere 13 werden verletzt. Gleichwohl weigert sich die Industrie, ihr Produkt sicherer zu machen. Bürgermeister Morial: „Die Pharmaindustrie macht kindersichere Pillendosen, warum kann die Industrie keine Waffen herstellen, die Kinder nicht abfeuern können?“

„Welch ein Quatsch!“ erregt sich Bob Ricker vom American Shooting Sports Council, der – anders als sein Name nahelegt – nicht die Sportschützen, sondern die Industrie vertritt: „Würden Sie Ihr Kind mit einer geladenen Waffe spielen lassen, die von so einem Mechanismus gesichert ist, wie sie Bürgermeister Morial anpreist? Na sehen Sie!“

Die von den vier Städten angestrengten Verfahren verfolgen verschiedene juristische Strategien. Während New Orleans gegen die Herstellung eines gefährlichen Produkts klagt, klagt Chicago wegen öffentlichen Ärgernisses. In Chicago ist der Waffenbesitz verboten. Gleichwohl hat sich um Chicago ein Ring von Waffenhändlern etabliert, die Waffen an Chicagoer Kunden verkaufen. Die Polizei startete letztes Jahr im November die „Aktion Pulverdampf“, bei der Beamte, die keinen Zweifel an ihrer Chicagoer Herkunft ließen, in 12 Waffengeschäften rund um Chicago 171 Handfeuerwaffen kauften. Zumeist schwadronierten sie beim Waffenkauf von zu begleichenden Rechnungen und von Territorien, die gegen rivalisierende Gangs verteidigt werden müßten. Chicago klagt dagegen, daß die Waffenindustrie sich auf diese Weise den ihr verschlossenen Chicagoer Markt erschließt und die suburbanen Händler in vollem Wissen um ihre Verkaufspraktiken beliefern.

Die Hersteller bestreiten das, doch macht ihnen nun ein Zeuge aus den eigenen Reihen zu schaffen: Ein ehemaliger leitender Verkaufsmanager des Revolverriesen Smith & Wesson behauptet in einer eidesstattlichen Erklärung, daß die Waffenfirmen durchaus in der Lage wären, die Wege ihrer Produkte nachzuvollziehen. Doch das, sagte der Ex-Manager, wäre schlecht für das Geschäft.

Warum die Bürgermeister den Rechtsweg beschreiten, statt auf die Gesetzgebung Einfluß zu nehmen, erklärt der Bürgermeister von Philadelphia, Ed Rendell: „Wir bereiteten für unsere Stadt eines der schärfsten Waffengesetze in den USA vor. Der Landtag des Bundesstaats Pennsylvania hat ein Gesetz erlassen, das unserer Initiative zuvorkam und ihr den juristischen Boden entzog.“ Andere Städte machten ähnliche Erfahrungen. „Wir befinden uns in einer Situation, die der vergleichbar ist, die die Bürgerrechtsbewegung in den fünfziger Jahren vorfand“, erklärt Anwalt Coal, „die Parlamente waren Gefangene der Sonderinteressen. Die Gerichte und nicht die Parlamente haben die Bürgerrechte durchgesetzt.“

Die Waffenlobby ist zwar nicht unbedingt gegen schärfere Gesetze, die etwa illegalen Waffenbesitz oder das Waffentragen beim Begehen von Straftaten besonders schwer bestrafen. Jedoch: „Chicago hat letztes Jahr ganze zwei Vergehen gegen das Waffengesetz verfolgt“, mokiert sich Waffenlobbyist Bob Ricker. „Die Bürgermeister haben alle Gesetze, die sie brauchen, sie müssen sie nur anwenden.“

Die Klagebewegung wird gleichwohl wachsen. In Kalifornien arbeiten die Städte San Francisco und Los Angeles an einer Sammelklage, der sich möglichst viele Städte Kaliforniens anschließen sollen. Der demokratische Senator Torricelli aus New Jersey hat derweil eine Gesetzesinitiative angekündigt, die Herstellung und Verteilung von Waffen den Bestimmungen des Justizministeriums unterwerfen soll. Vorgestellt wird die Vorlage auf einer Konferenz im Februar.

„Wogegen wird dann als nächstes geklagt?“ fragt Victor Schwartz, Mitglied der Washinton Legal Foundation, einer konservativen Anwaltsvereinigung. „Gegen die Potato-Chip-Industrie vielleicht?“