Versteckspiel im Rhythmuschaos

■ Die Rephlex Allstars waren zu Gast in Berlin – Wo war Aphex Twin? Wer gekommen war, ihn netzhautnah zu sehen, mußte hören

Diejenigen, die nicht Blumfelds Jochen in Potsdam gucken waren, kamen ins Columbia Fritz, um Aphex Twin, den Meister der elektronischen Musik, zu sehen. Zu Gesicht bekamen sie ihn jedoch nicht. Richard D. James alias Aphex Twin war zwar bei der Rephlex-Allstar-Nacht anwesend, zog es während seines DJ-Sets aber vor, das Geheimnis um sein wahres Gesicht auch an diesem Abend nicht zu lüften. Am hinteren Ende der Bühne saß der scheue Exzentriker geduckt hinter den Plattenspielern und schützte sich vor den gierigen Blicken des Publikums. Dieses war aber in den Club geströmt, um das Wunderkind netzhautnah zu erleben. Die ohnehin schon orientierungslose Situation bei Auftritten elektronischer Musiker steigerte sich so ins Groteske: Obwohl es nicht mal eine an den Knöpfen drehende Person zu beobachten gab, klebten die ersten zwei Reihen am Bühnenrand, um wenigstens einen Blick auf die Stirn des Helden aller Kinderzimmer-Produzenten zu erhaschen. Aphex Twin gab es ihnen – wenn schon nicht visuell – dann doch akustisch. Eigensinnig wie die verspielten Werke des Sonderlings mixte er fast drei Stunden lang seine Lieblingsplatten zusammen – von nervenaufreibendem Drum'n'Bass und High-Speed- Acid-House zu kuriosem Rare Funk und HipHop-Breaks und natürlich seinen eigenen Stücken. Die tanzbereite Meute machte brav mit und ließ sich von dem teilweise die Grenzen des Tanzbaren sprengenden Rhythmusdauerfeuer kräftig durchschütteln.

Nicht umsonst gründete Richard D. James das Label Rephlex, eine Spielwiese für Freaks wie ihn. Erlaubt ist alles, wenn es denn abgedreht genug ist. Lo-Fi-Elektronik wie die von Leila findet im Rephlex-Universum genauso ihren Platz wie die Retro-Electro- Exzesse der DMX Krew. Letztere war zwar angekündigt, spielte an diesem Abend jedoch lieber im Glashaus. Auch auf die Breakbeat-Spezialisten Luke Vibert und Mike Dredd mußten die Berliner verzichten. Die Party fand dennoch statt. Die verspielten Dance- Tracks von Chris Jeffs alias Cylob versetzten die Synapsen des Publikums 45 Minuten lang in helle Aufregung. Der beleibte Mittdreißiger hatte seine wahre Freude daran, den ganzen Club mit druckvollen Beats, ironischen Rap-Einlagen und Achtziger-Revival-Hymnen zum Zappeln zu bringen.

Mit halber Mannschaft war das Allstar-Paket nicht so schlagkräftig wie die verheißungsvolle Vorankündigung es versprach. Da war der Live-Auftritt von Agent 300 wenn schon nicht musikalisch, dann doch unterhaltungstechnisch ein guter Lückenfüller. Seinem Label alle Ehre machend brüllte der Agent Stöhn- und Urlaute über vertrackte Beats, auf die keiner so recht antworten wollte. Doch das Publikum war auch ihm wohlgesonnen, denn zur Einstimmung auf die durchgeknallten Engländer gab es Fuschimuschi. Das Düsseldorfer Gitarre-Bass-DJ-Trio macht eigentlich Rock'n'Roll, singt schlechte englische Texte über HipHop-Beats und klingt so, als ob sich Jon Spencer in Entenhausen verlaufen hätte. Diese komische Mischung verschaffte ihnen jüngst die seltene Ehre bei einem englischen Label unter Vertrag zu kommen. Ihr Schlager-Hit „Super Sexy Lady“ wird im März auf Rephlex erscheinen. Uh-Young Kim