Anfassen, aussagen etc.
: Zurück in die Fifties

■ Alles außer: Die Clinton/Lewinsky-Affäre als gelungenes Petting. Ein Gutachten

Monica Lewinsky is back in town. Auf Beschluß des Senats muß sie noch einmal in Washington vor dem Impeachment-Tribunal aussagen, obwohl schon alles gesagt und alles dokumentiert wurde. Doch die Chance, pikante Details aus dem Munde, sprich: Tatwerkzeug der Ex-Praktikantin selbst zu hören, will sich die Riege von wichtigtuerischen Saubermännern mit ihren getönten Fönfrisuren und ihren adretten Haarersatzteilen nicht entgehen lassen.

Obwohl das Amtsenthebungsverfahren wie ein Prozeß mit Anklage und Verteidigung, Zeugenaussagen und Beweisführung angelegt ist, werden Sachverständige nicht hinzugezogen. Die Verfahrensordnung sieht das nicht vor. Was aber hätte ein Gerichtsgutachter den Senatoren zu sagen, einmal angenommen, er würde geladen?

Auf die Kernfrage des Verfahrens: „Hat der Präsident der Vereinigten Staaten bewußt gelogen, als er unter Eid aussagte, keine sexuelle Beziehung zu Monica Lewinsky unterhalten zu haben?“, würde ein geladener Sexualwissenschaftler wie folgt antworten: „Der heute 52 Jahre alte William Jefferson Clinton erlebt sein ,sexuelles Erwachen‘, in welcher Jugendlichen der voreheliche Geschlechtsverkehr untersagt war und die ,Unschuld‘ der Frau als Voraussetzung für eine Eheschließung galt. Alle sexualerzieherischen Maßnahmen der 50er und 60er Jahre konzentrierten sich darauf, das Ideal der Jungfräulichkeit hochzuhalten und zu verteidigen.

Mit Hilfe von Dating-Handbüchern wurde die Beziehung von Teenagern zum jeweils anderen Geschlecht geregelt. Hier wurde ihnen gesagt, was erlaubt ist und was verboten. Da man aber realistischerweise davon ausgehen mußte, daß Jugendliche Wege finden würden, die Verbote zu umgehen, wurden die Dating-Richtlinien um ein abgestuftes System von Petting- Regeln erweitert, wobei man unterschied zwischen weichem und hartem Petting. Der scheue Kuß am Hauseingang zum Abschluß eines Dates galt als asexuell und folglich harmlos, während der feuchte Zungenkuß auf dem Rücksitz eines Automobils bereits als eine Vorform von weichem Petting eingestuft wurde. Auch das Berühren und Streicheln sogenannter sekundärer Geschlechtsmerkmale wie Brust, Schenkel und Hintern fiel in diese Kategorie.

Derartige Jugendaktivitäten waren zwar nicht erwünscht, doch sie wurden geduldet, solange es nicht zum Geschlechtsverkehr im Sinne einer Penetration kam. Noch weniger erwünscht waren Aktivitäten in der Kategorie hard petting wie das Reiben der Geschlechtsteile in bekleidetem Zustand, wechselseitige Masturbation oder oralgenitale Stimulation. Doch selbst diese Sexualpraktiken wurden geduldet, solange es nicht zum Äußersten kam. Die Grundregel hieß: Alles außer.

In den 50er und 60er Jahren durchgeführte Untersuchungen belegen, daß sogenannte blow jobs, also die Stimulation des männlichen Genitals durch den Mund der Frau, – er steht, sie kniet vor ihm –, zu den bei amerikanischen Männern beliebtesten Sexualpraktiken gehören. Schon der Begriff blow job belegt die Beiläufigkeit dieses Vorgangs.

Da eine sexuelle Beziehung erst und nur in der Ehe erlaubt war, konnte das, was vor der Ehe lief, auch kein Sex im Sinne einer sexuellen Beziehung sein. Das ist die Logik der puritanischen Sexualmoral. Mit diesem verinnerlichten Moralkodex ist der Angeklagte William Jefferson Clinton aufgewachsen. Nun, wegen unangemessener Sexspiele während der Amtsausübung wie ein kleiner Junge bloßgestellt und unter Rechtfertigungsdruck geraten, greift er auf das zurück, was ihm in der Pubertät beigebracht worden ist.

Die Frage des Gerichts, ob der Präsident der Vereinigten Staaten unter Eid bewußt gelogen habe, als er bestritt, eine sexuelle Beziehung zu Monica Lewinsky gehabt zu haben, ist deshalb mit einem klarem Nein zu beantworten. Clinton hat nicht gelogen.

Ein solches Gutachten wurde nie erstellt und nie angefordert. Deshalb konnten auch die Ergebnisse einer Anfang der 90er Jahre vom Kinsey-Institut durchgeführten Studentenuntersuchung nicht in das Verfahren eingebracht werden. Die Kinsey-Nachfolger fanden nämlich heraus, daß auch heute noch 41 Prozent aller Studenten oralgenitale Stimulationen bis zum Orgasmus nicht als Geschlechtsverkehr betrachten. Als das Journal der American Medical Association Jama, eine dem deutschen Ärzteblatt vergleichbare Publikation mit hoher Auflage, diese Ergebnisse jetzt veröffentlichte, mußte der Geschäftsführer des Journals wegen „Einmischung in ein schwebendes Verfahren“ seinen Hut nehmen. Günter Amendt

Günter Amendt ist Sexualwissenschaftler und Autor des legendären Buchs „Sexfront“