Reise zu einer vagen Hoffnung

■ Widersprüchliche Bilder aus Irans Alltag: "Abschied vom Gottesstaat?" (20.45 Uhr, Arte)

Statt mit dem sonst obligatorischen Gebetsruf beginnt es mit Blasmusik. Fröhlich aussehende, zumeist junge Menschen wedeln mit Fähnchen und Bildern eines freundlich dreinschauenden älteren Herren und jubeln einem Redner zu. Die Veranstaltung mute an „wie eine amerikanische Wahlveranstaltung“, meint dazu ein Sprecher aus dem Off. Doch die Szene stammt aus dem Iran im Jahre 20 nach der Islamischen Revolution. Es ist eine Wahlkampfveranstaltung einer jüngst gegründeten Reformpartei. Der Herr mit dem freundlichen Lächeln ist Staatspräsident Mohammad Chatami, Hoffnungsträger vor allem der iranischen Jugend. Doch die Versammlung wird bald in die Realität zurückgeholt. Hisbollahi, Schlägertrupps mit selbsterteiltem Auftrag Gottes, mischen sie prügelnd auf.

Die Islamische Republik ist im Umbruch. Fast die Hälfte der 60 Millionen EinwohnerInnen haben Chomeinis Revolution nicht bewußt miterlebt – und vielen von ihnen ist das Erbe des greisen Imam egal. Thomas Giefer und Ahmad Taheri haben diesen Wandel beobachtet und sich dafür Zeit gelassen: einen Monat Reise durch den Iran und eine Stunde Sendezeit – ein Luxus, der wohl nur noch für Arte möglich ist. Für beide wurde es auch eine Reise in die Vergangenheit: für Giefer, weil er ausführlich Material seines zusammen mit Ulrich Tilgner 1979 produzierten Revolutionsfilms „Schah Matt“ verwendete, für den taz-Autor Taheri, weil er erstmals seit der Revolution wieder seine Heimat besuchte – diesmal als Inhaber zweier Pässe.

Der Film „Abschied vom Gottesstaat? Iran – 20 Jahre nach der Revolution“ zeichnet den Weg vom Sturz des Operettenkaisers und Diktators Resa Pahlavi über den ersten Golfkrieg und den Tod Chomeinis zur überraschenden Wahl Präsident Chatamis und zieht eine ernüchternde Bilanz: „Der Gottesstaat ist zum profanen Alltag geworden“, in dem sich die Menschen am liebsten dem zuwenden, „das verboten ist“. Wenn man aneinandergeschnitten Chomeini vom Kampf gegen den US-Imperialismus dozieren sieht und wenig später junge Iranerinnen, die mit Touristen just aus dem Reich des „großen Satans“ über Fußball scherzen, sind das zwei verschiedene Welten.

Giefer und Taheri haben auch ehemalige Revolutionäre besucht - zum Beispiel Besetzer der US-Botschaft 1979. Über ein Jahr blieben damals Diplomaten und Angestellte als Geiseln in den Händen der Revolutionäre. Heute geben die sich gewandelt, von Radikalislamisten zu islamischen Demokraten. Das mag wohlfeil klingen und in den Ohren verbitterter iranischer Exilanten als blanke Heuchelei. Doch der Film zeigt: 20 Jahre real existierende Islamische Republik mit all ihren Miseren geben auch einst überzeugten Islamisten genug Anlaß, ihre Meinung zu ändern.

Giefer und Taheri sind tendenziell optimistisch. Ihre Hoffnung baut auf Irans Jugend. Denn wie einst 1979 brodelt es wieder an Irans Universitäten. Statt „Tod dem Schah“ fordern die Studentinnen heute mehr Freiheit und Demokratie. Doch der Film enthält auch ein Beispiel dafür, wie schnell solche Hoffnungen zerschlagen werden können.

Der Film zeigt vermutlich die letzten Aufnahmen von Dariusch Foruhar und seiner Frau Pravaneh Eskanderi. Die beiden überzeugten Vertreter einer Trennung von Staat und Religion wurden im Dezember verstümmelt in ihrer Wohnung aufgefunden. Als angebliche Täter verhafteten die iranischen Behörden mehrere Mitarbeiter des staatlichen Geheimdienstes. Thomas Dreger