Es handelt sich nicht um Bürgerbeteiligung –betr.: „Der Totalitarismus der Unmittelbarkeit“, taz vom 23. 1. 99

Bei der Unterschriftenkampagne der CDU/CSU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft handelt es sich gerade nicht um Bürgerbeteiligung im Sinne der Zivilgesellschaft. Eine echte Bürgerbeteiligung setzt Aufklärung über die Fakten und eine öffentliche Diskussion der verschiedenen Standpunkte voraus. Sie ist an bestimmte Formalitäten gebunden, so daß ihr Ergebnis überprüfbar ist. Außerdem richtet sie sich an alle Wahlberechtigten, die zustimmen, ablehnen oder sich ihrer Stimme enthalten und so an Entscheidungen mitwirken können. Die Kampagne der CDU/CSU erfüllt keine dieser Kriterien, sondern ist ein Appell an eine jahrelang geschürte Ausländerfeindlichkeit, die mit der kaum verhüllten Drohung einer weiteren Verschärfung die Regierung einschüchtern soll.

Das von Sibylle Tönnies vorgetragene Krügersche Argument, „daß durch die Wahl von Vertretern eine günstige Selektion und dadurch ein ,Verbesserungseffekt' einträte“, mutet gerade in der taz etwas seltsam an. Ich will diesen Verbesserungseffekt gar nicht leugnen, aber mir scheint er sich auf die Bezahlung und Versorgung der gewählten Vertreter zu beschränken. Dagegen ist eine im Journal of Political Economy 1995 (S. 587 ff) abgedruckte Untersuchung zu dem Ergebnis gelangt, daß die Abgabenbelastung und die finanzielle Staatsquote in den 23 amerikanischen Gliedstaaten mit Volksbegehren und Volksentscheid erheblich niedriger sind als in den 27 rein repräsentativ ausgerichteten Staaten. Und innerhalb der 23 Staaten mit Volksbegehren ist die Staatsquote desto niedriger, je niedriger die Zulässigkeitsquoten sind, je leichter also die Zugänglichkeit des Entscheidungsmechanismus für die Bürger ist. Also, es ist zu unterscheiden zwischen Diffamierungskampagne und Bürgerbeteiligung; und das ist keine Frage von rechts oder links, denn im CSU-Land Bayern gibt es Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten, von denen die Bürgerinnen und Bürger in SPD-regierten Ländern bisher nur träumen können. Antonie Brinkmann, Bremen