Kleinkrieg um Fischgründe

Obwohl Gibraltar keine Fangflotte besitzt, bringt die Polizei spanische Boote vor seiner Küste auf. Dahinter steckt der Ärger über Spaniens Ansprüche auf die Kolonie  ■ Von Reiner Wandler

Madrid (taz) – Die Fischer im südspanischen Algeciras fühlen sich von der Regierung in Madrid im Stich gelassen. Seit Ende letzten Jahres werden ihre Boote immer wieder von der Wasserschutzpolizei der britischen Kronkolonie Gibraltar, einer sechs Quadratkilometer großen Klippe an der Südküste Spaniens, an der Arbeit gehindert. Madrid schaue untätig zu, so der Vorwurf der Betroffenen. Am Schlimmsten traf es vor einer Woche die Piraña. Das Boot wurde regelrecht geentert und in den Hafen Gibraltars gezwungen.

„Wir wurden mißhandelt“, beklagt sich einer der 14 Seeleute. Die britischen Beamten hätten sie auf den Boden gezwungen und sie minutenlang mit dem Stiefel im Nacken festgehalten. Mehrere Stunden später wurden Boot und Besatzung gegen 12.000 Mark Kaution freigegeben, die Netze blieben im Polizeigewahrsam.

Nur eine Nacht später wiederholten sich ähnliche Szenen. Dieses Mal wurden gleich elf Boote auf einmal von der Wasserschutzpolizei Gibraltars eingekreist. Da die Enterversuche scheiterten, zerstörten die Ordnungshüter kurzerhand die Netze, in dem sie mehrmals mit ihren Außenbordern hindurchfuhren. „Die spanische Guardia Civil kam uns nicht zur Hilfe“, beklagt sich der Sprecher der Fischer, Miguel Alberto Diaz, von der kommunistischen Gewerkschaft CCOO. Aus Angst vor neuen Zwischenfällen fuhren die insgesamt 500 Fischer der Region seither nicht mehr aus.

Der Vorwurf der britischen Polizei lautet „illegales Fischen in den Hoheitsgewässern Gibraltars“. Für die Fischer ist dies völlig unverständlich. Seit über 100 Jahren gehen sie ungestört in den wenigen Quadratkilometern vor der Küste Gibraltars ihrer Arbeit nach. Gibraltar selbst hat keine Fangflotte. Letztes Jahr hatten sich die Regierung in London und die in Madrid sogar auf ein Fischereiabkommen verständigt. Die lokalen Autoritäten der britischen Kronkolonie leugnen dies und berufen sich auf eigene Gesetze.

„Es kann nicht darum gehen, Kriegsschiffe in die Region zu schicken“, erteilte Spaniens Außenminister Abel Matutes den Forderungen der Fischer nach mehr Schutz eine klare Absage. Er setzt auf den diplomatischen Weg und bestellte nach dem ersten Zwischenfall mit der Piraña den britischen Botschafter in Madrid zu sich. London solle sich „öffentlich zum Fischereiabkommen bekennen, und seinen Willen kundtun, es umzusetzen“ lautete das 72stündige Ultimatum, das Matutes stellte. Die Antwort: Funkstille aus der britischen Hauptstadt und der erneute Zwischenfall mit elf betroffenen Fischerbooten in der Nacht vom Donnerstag.

Madrid verschärfte daraufhin die Kontrollen an der gemeinsamen Grenze mit Gibraltar. Wartezeiten von über zwei Stunden bei der Ausreise nach Spanien sind seither normal. Direkte Verhandlungen mit dem regierenden Minister in Gibraltar, Peter Caruana, wie die Fischer fordern, lehnt das Madrider Außenministerium ab. Für Matutes hat Caruana keine souveränen Machtbefugnisse. Ansprechpartner für Madrid könne nur die Londoner Regierung sein.

Doch die zeigt den Spaniern seit Jahren die kalte Schulter. Vor allem seit der Rückgabe von Hongkong an China verstärkte Madrid die Initiativen, um die letzte Kolonie in Europa Geschichte werden zu lassen. Vergangenen Jahres schlug Matutes den Briten eine Co-Souveränität Spaniens und Großbritanniens über die Klippe an der strategisch wichtigen Einfahrt vom Atlantik ins Mittelmeer vor. London lehnte ab.

In Gibraltar, wo seit 255 Jahren der Union Jack weht, wollen laut Umfragen rund 95 Prozent der Bevölkerung ihren britischen Paß behalten. Der Vorschlag aus Madrid stieß auf Empörung. Seither verstärkte die Kronkolonie ihre Kontrollen für einreisende Spanier, vor allem für die Fischer der Region.

„Für uns geht es nur um die Fischerei. In die Frage der Souveränität mischen wir uns nicht ein“, sagt der Sprecher der Fischer Diaz. Nach tagelangen Protesten und Blockaden am Grenzübergang zu Gibraltar erzielten die Fischer gestern in direkten Gesprächen mit Caruana einen Kompromiß. Wie der aussieht, darüber schweigen sich beide Seiten bisher aus. Nun beraten die Fischer, ob sie wieder auslaufen wollen.

Der spanische Außenminister Matutes ist empört: „Dieses Abkommen können sie sich an den Mast ihrer Boote nageln oder in der Kajüte aufhängen.“ Matutes spricht der Verwaltung in Gibraltar einmal mehr jede bilaterale Entscheidungsbefugnis ab.

Das Verhältnis zu Gibraltar ist schon länger gespannt, denn die britische Kolonie ist ein Paradies für Tabakschmuggel Richtung Spanien. Außerdem wirft Spanien den Briten Geldwäscherei im großen Stil vor: 28 Banken aus aller Welt zieren die Main Street. 53.000 Unternehmen sind im Handelsregister eingeschrieben – doppelt soviele, wie Gibraltar Einwohner hat. Einer der wichtigsten Strohmänner des Landes ist Regierungschef Peter Caruana.