Kampagne gegen Kampagne gegen Wehrpflicht

■ Drei Mitarbeiter der Kampagne stehen wegen der Besetzung des Potsdamer Truppendienstgerichts vor Gericht. Angeklagter Sprecher: „Uns soll eins ausgewischt werden.“

Gestern begann vor dem Amtsgericht Potsdam ein Verfahren gegen drei Mitarbeiter der Berliner und Potsdamer Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär. Die Anklagepunkte sind nicht von Pappe: Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Nötigung, Sachbeschädigung und Vernichtung und Unterdrückung von Dienstakten.

Die Staatsanwaltschaft hat sich viel Zeit für die Anklage genommen. Der Anlaß liegt fast vier Jahre zurück. Im Juli 1995 hatten Vertreter der Kampagne eine Solidaritätsaktion zur Unterstützung eines Totalverweigerers veranstaltet, der bereits 84 Tage arrestiert war, obwohl bis dahin von Truppendienstgerichten üblicherweise maximal 63 Tage Arrest für Totalverweigerer verhängt wurden, so die Kampagne. Aus Protest hatte etwa ein Dutzend Wehrpflichtgegner die Räume des Truppendienstgerichts Nord in Potsdam besetzt. Dabei sollen sie, so die Anklage, Hausfriedensbruch begangen, eine Deutschlandfahne vernichtet und Unterlagen aus dem Fenster geworfen haben. Die Besetzung hatte letztendlich zur Entlassung des Totalverweigerers aus dem Arrest geführt. Seitdem würden Arreststrafen, so die Kampagne, „immer deutlicher den Charakter der Beugehaft annehmen“.

Von morgens 9 Uhr bis in den späten Nachmittag vernahm gestern das Gericht mehr als ein Dutzend Zeugen, die sich nach Angaben von Christian Herz widersprachen. „Die Anklagepunkte sind überzogen“, so der Berliner Sprecher der Kampagne. „Es wird versucht, eine Rädelsführerschaft zu konstruieren.“ Herz ist überzeugt, daß der Kampagne „eins ausgewischt werden soll“. Bei Redaktionsschluß dauerte die Zeugenvernehmung an.

Das letzte Mal, daß Vertreter der Kampagne gegen Wehrpflicht vor Gericht standen, war im März vergangenen Jahres. Nachdem die Kampagne im Mai 1996, zwei Tage vor dem ersten öffentlichen Gelöbnis der Bundeswehr am Schloß Charlottenburg, 450 Mitglieder der „Nationalen Gartenzwerg-Armee“ vereidigt hatte, war Christian Herz wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zu 451 Mark Strafe verurteilt worden. Nachdem er dagegen Widerspruch eingelegt hatte, befaßte sich das Amtsgericht Moabit mit der Frage, ob Gartenzwerge gegen das Versammlungsverbot verstoßen. Das Verfahren wurde eingestellt. Barbara Bollwahn de Paez Casanova