"Der neue Pfad ist da"

■ Seit den achtziger Jahren zählt der Amerikaner Bill Viola zu den Stars der Videokunst. Jetzt werden seine Arbeiten in Frankfurt gezeigt. Ein Gespräch über heilige Bilder, Zen-Buddhismus und die Kunst, durch ein Saxo

taz: Herr Viola, Ihr Denken ist vom persischen Mystizismus des 13. Jahrhunderts ebenso beeinflußt wie von der amerikanischen Nachkriegsavantgarde. Warum verweisen Ihre Arbeiten nie auf diesen Hintergrund?

Bill Viola: Jemand wie Pollock kommt daher und malt die schiere Energie des Moments. Das war sein großer Beitrag zur Kunst des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig die Anhäufung einer tausendjährigen Tradition direkter Erfahrung, die sich vor allem im Osten nachzeichnen läßt. Durch die Art und Weise, wie er seine Farbmarken setzte, ist er direkt mit den chinesischen und japanischen Tintenzeichnungen verbunden. Fünfzig Jahre gehen ins Land. Pollocks Gemälde beginnen auszusehen, als seien sie in einer bestimmten historischen Periode eingefaßt, obwohl er daran überhaupt nicht gedacht hat. Mit anderen Worten, als Aktion, als Energie ist seine Arbeit ewig präsent, nur seine Gemälde als Objekte sind historisch.

Dennoch: Ihre Arbeiten wirken unpolitisch, weil sie ahistorisch erscheinen...

Nein, damit bin ich nicht einverstanden. Schon durch die Natur des Mediums bin ich in einer bestimmten Epoche etabliert. Eine Arbeit wie „Room for St. John of the Cross“ (in der Texte des von der Inquisition verfolgten Heiligen zitiert werden, d.A.) hat eine starke politische Dimension und geschichtliche Verbindung. Und ich denke, daß die aktuellen Ereignisse die oberflächlichsten in der politischen Geschichte sind. Ich will das in meiner Arbeit nicht haben, und wenn ich es in anderen sehe, läßt mein Interesse nach. Was in einem Kunstwerk ewig ist, sind die universalen Aspekte. Der Zweite Weltkrieg war ein traumatisches Ereignis, das die Kunst des 20. Jahrhunderts zutiefst beeinflußt hat. Aber wenn es nachhaltig in ein Kunstwerk destilliert werden soll, dann so, daß alle Menschen zu allen Zeiten etwas damit anfangen können – egal, was sie über den Krieg, Hitler und die Nazis wissen.

Was Sie universal nennen, könnte man auch chauvinistisch nennen, weil dabei der Kontext ethnischer, kultureller und geschlechtsspezifischer Differenzen ausgeklammert wird.

Das ist nicht, was ich als universal verstehe. Ich bin nur nicht an einer Kunst interessiert, die ein hoch spezialisiertes Wissen für diejenigen verstärkt, die ohnehin schon eingeweiht sind. Man kann hier eine Parallele zur Wissenschaft ziehen. Es ist extrem wichtig, daß sich Mediziner in einer Sprache unterhalten, die Sie und ich nicht einmal im Ansatz verstehen. Wir brauchen solche spezialisierten Dialoge. Wir brauchen lokale Gemeinden. Das ist gesund. Aber ich bin mehr an der praktischen Seite interessiert. Ein Beispiel dafür wären die Erfahrungen, die ich bei meinen Reisen in verschiedenen Kulturen gemacht habe. Kommunikation wurde für mich dort sehr kostbar. Ich begegnete Traditionen und Sprachen, die ich nicht verstand. Die einzige Verbindungsmöglichkeit lag in unserer gemeinsamen Erfahrung als Menschen. Das war der Faden, den ich in ihren Bildern, Tänzen, Liedern, in jeder Kunstform ausgedrückt fand. Ich erkannte, daß es eine gemeinsame Sprache gibt. Diese gemeinsame Menschlichkeit erlaubt den Kontext der Differenz, den Sie gerade beschrieben haben, aber sie erlaubt uns gleichzeitig auch, ihn zu überwinden, um uns gegenseitig zu verstehen und zu respektieren.

Reisen war für Sie ein wichtiges Medium?

Ich habe gesehen, wie andere Kulturen Kunst als Heilpraxis kultivieren. Ich sah Ausstellungen in Tokio von buddhistischen Objekten, zu denen die Alten immer noch kamen und beteten. Die Bilder hatten immer noch diese Kraft! Die Leute beteten und brachten Opfer, mitten in einem Museum in Tokio!

Sie haben auch eine Arbeit für eine Kathedrale gemacht, oder?

Ja, den „Botschafter“ für die Kathedrale von Durham. Es war die erste Videoinstallation, die die Englische Kirche erworben hat.

Bei alledem scheinen Sie nicht zu befürchten, daß wir unsere Geschichte und Identität verlieren, weil die Medien die Welt in einen virtuellen Ort transformieren?

Ich habe absoluten Glauben an das Bild. Ich habe ihn nie verloren und denke in keiner Weise zynisch darüber. Das passiert nur, wenn man sich von der Kommerzialisierung des Bildes im 20. Jahrhundert einfangen läßt. Wenn man nur seinen Warencharakter sieht.

Kann man sich dem denn entziehen?

O ja! Die Bilder verlieren ihre Zeit nicht, wenn man sich ihnen durch das Sein nähert, und nicht durch Wissen. Wenn man Bilder als Information klassifiziert – und wir sind dabei, das zu tun –, hat der Grand Canyon heute keinerlei Kraft. Er ist ein absolutes Klischee. Aber auch wenn man tausend Fotos davon gesehen hat, ist seine Macht unbestreitbar, wenn man selbst dort ist. Mein Medium, Video, hat mit Stillstand nichts zu tun. Im Gegensatz zu Fotos und Bildern kann es Prozesse wiedergeben, die mit Wandel und Transformation zu tun haben. In ihm sind Auge und Ohr in einer beweglichen Welt miteinander verbunden. Video ist ein dynamisches Energiesystem. Auf diese Weise ist es sehr viel mehr in Einklang mit unserer menschlichen Realität.

Sind Medien eine Technologie, um das Heilige hervorzubringen?

Nein. Jedes physische Medium kann das. Steine können damit aufgeladen sein. Ein zerknittertes Blatt Papier oder einfach nur Müll. Das Schöne an dem Versuch, das Spirituelle zu definieren, ist, daß es in keiner Weise mit den materiellen Objekten in dieser Welt verbunden ist!

Andere Künstler sind sehr viel stärker auf die Technik konzentriert, die dann selber als das Heilige erscheint. Das wäre der Hintersinn von McLuhans berühmtem Satz vom Medium als Message.

Das Medium ist das, was den Weg zur anderen Seite blockiert. Man muß durch es hindurchgehen. Man kann nicht herumgehen und es ignorieren. Deshalb glaube ich wirklich daran, ein Handwerk zu beherrschen. John Coltrane zum Beispiel repräsentiert die Fähigkeit, ein Medium – irgendein nützliches Instrument – so perfekt zu beherrschen, daß er direkt durch es hindurchging. Es wurde transparent. Was in ihm war, wurde direkt dadurch verkörpert, was er mit seinem Saxophon machte. Dadurch schaffte er das Medium aus dem Weg. Das ist auch der Grund, warum man an Kunstschulen vor allem lernt, eine bestimmte Technik handwerklich zu beherrschen.

Es ist schwierig genug, Ideen und Visionen zu bekommen, aber dann müssen sie auch noch hinaus in die physische Welt. Auch wenn man in einer Performance den eigenen Körper benutzt, man muß sein Vehikel, sein Medium vom Standpunkt des Handwerks aus beherrschen.

Darum strahlt Ihre Arbeit kein romantisches Gefühl aus, obwohl sie alle entsprechenden Topoi enthält: Tod, Traum, Schlaf und die Universalpoesie der Natur. Es fehlt das Fiebern, das zum Genie- begriff gehört.

Das habe ich vom Zen-Buddhismus gelernt. Früher dachte ich, seine Vertreter wären tolle, verrückte Typen, regelrecht in Ekstase trotz ihres beherrschten Auftretens. Daß sie ein Stadium des Nichtdenkens erreichen, indem sie sich auf eine Weise verhalten, die wir als irrational bezeichnen würden. Für uns ist irrational zu sein der einzige Weg, einen freien Geisteszustand jenseits der Logik zu erreichen, den wir mit künstlerischem Fortschritt und großen intellektuellen Sprüngen verbinden. Wir erreichen ihn oft durch Drogen, Alkohol oder intensive körperliche Erfahrung. Oder durch Musik. Aber ich fand tatsächlich etwas ganz anderes in den japanischen Mönchsschulen vor. Die Männer dort waren die absolute Essenz rationaler Kontrolle. Ihr Geist ist so fein abgestimmt und erleuchtet, daß er teilweise identisch ist mit dem Ideal, das wir meinen. Ich begriff, daß es zwei Wege gibt, diese Geistesfreiheit zu erreichen: durch große Kontrolle oder Kontrollverlust, durch Mißbrauch oder Perfektion des Körpers. Ich hatte ein paar Drogenprobleme, als ich jünger war. Ich habe eine Menge verrückter Dinge gemacht. Diese neue Erfahrung half mir sehr, als ich dreißig Jahre alt wurde. Ein Künstler zu sein hieß nicht notwendig, ein Leben à la Baudelaire und Rimbaud zu führen, wie ich gedacht hatte!

Ist dieser Bohemestil nicht auch vom künstlerischen Standpunkt gesehen ein überlebter Mythos?

Ja, nur gibt es gewisse Kunstperioden, in denen man das Ende des Wegs erreicht. Man muß verstehen, daß man einfach nicht weiter in diese Richtung gehen sollte. Die Künstler sind wie ein paar Typen, die sich ins Auto setzen und so schnell wie möglich fahren, verzweifelt und gefährlich. Um gegen die Wand zu knallen.

Wen meinen Sie konkret?

Rimbaud, Baudelaire, Van Gogh, Pollock... alle diese shooting stars. Sie haben für uns ein Loch in die Wand gemacht, so daß wir uns nicht mehr die Köpfe einrennen müssen (lacht). Der Pfad ist da. Ein neuer Pfad, auf dem man weiter gehen kann. Man braucht also beide Typen: diejenigen, die methodisch entwickeln und ausbauen, und die, die wie eine Rakete davonschießen. Man muß vorsichtig sein, denn Geschichte ist kein so logischer Prozeß. Nehmen Sie John Cage, der so viele Künstler im späten 20. Jahrhundert inspiriert hat. Dennoch sieht man die Schritte, mit denen er den Extrempunkt der Musik erreichte, nicht als Schritte an – weil man dort nicht den nächsten machen kann. Was macht man nach 4“22 Minuten Stille? 6“33 Minuten? Es ist nicht diese Art von Logik! Was Sie tun, ist folgendes: Sie machen einen Schritt zur Seite, dann gehen Sie voran und machen mit Ihrem Wissen soviel Lärm wie möglich! Interview: Henrike Thomsen