Außenpolitik mit mehr Selbstbewußtsein gefordert

■ Hamburger Friedensforschungsinstitut IFSH kritisiert Beteiligung Deutschlands an Nato-Maßnahmen ohne UN-Mandat. Ratschläge zur Außenpolitik an die neue Regierung

Bonn (taz) – „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“, lautet das außenpolitische Kapitel der rot-grünen Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998. Diesen Anspruch nahm das „Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik“ an der Universität Hamburg (IFSH) zum Ausgangspunkt und zur Meßlatte für eine Analyse der Weltlage. Darüber hinaus gab es präzise „Empfehlungen zur Friedens- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Das gestern veröffentlichte 60-Seiten- Papier orientiert sich an den 20 wichtigsten Zielsetzungen in der Koalitionsvereinbarung zu Themen wie Nato, UNO, OSZE, EU- Krisenprävention, Rüstungskontrolle bis hin zum Verhältnis Deutschlands zu Rußland und Israel. Die IFSH-Mitarbeiter verstehen ihr Papier als Beitrag, die Umsetzungen dieser Zielsetzungen zu befördern, und als Anstoß dazu, in einer Demokratie friedens- und sicherheitspolitische Fragen nicht allein den Bonner Ressortpolitikern zu überlassen, sondern wieder verstärkt in der Öffentlichkeit zu diskutieren.

Eine Reihe der 20 Empfehlungen des IFSH stehen entweder in deutlichem Kontrast zu den bisherigen Taten und Worten rot-grüner Koalitionspolitiker oder gehen weit über deren Absichtserklärungen hinaus – zum Beispiel bei den Themen Abrüstung, Ausgaben für Friedensforschung sowie personelle und materielle Stärkung konfliktpräventiver Handlungskompetenzen von UNO und OSZE. Deutliche Kritik formuliert das IFSH zum Thema „Gewaltmonopol der UNO“: „Bedauerlicherweise kam die neue Bundesregierung nicht umhin, gegen das Gewaltmonopol der UN-Charta schon zu verstoßen, ehe sie überhaupt ihr Amt antreten konnte“, heißt es in dem Papier mit Bezug auf die (von den rot-grünen Abgeordneten und den künftigen Kabinettsmitgliedern damals fast geschlossen mitgetragene) Entscheidung des Bundestages vom 16. Oktober, die Bundeswehr am seinerzeit erstmals geplanten Militäreinsatz der Nato gegen Serbien zu beteiligen.

Für das IFSH steht diese Entscheidung im klaren Widerspruch zum Völkerrecht, zum Grundgesetz und zur Koalitionsvereinbarung. Darin heißt es: „Die Beteiligung deutscher Streitkräfte an Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist an die Beachtung des Völkerrechts und des deutschen Verfassungsrechts gebunden. Die neue Regierung wird sich aktiv dafür einsetzen, das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu bewahren.“ Minister und Abgeordnete der neuen wie der alten Bonner Koalition wollten ihre Entscheidung damals als „Ausnahmehandlung in einer Notsituation“ verstanden wissen und nicht als Präzedenzfall.

Das IFSH läßt diese Erklärung nicht gelten: „Was ein Präzedenzfall ist, bestimmen jedoch weniger diejenigen, die ihn schaffen, als diejenigen, die sich später darauf berufen.“ Dahinter steckt die Sorge, daß sich zum Beispiel Rußland bei der Intervention in künftigen Konflikten auf dem Territorium der Ex-Sowjetunion auf das Handeln der Nato vom Oktober 98 berufen könnte. Doch eines solchen Szenarios bedurfte es gar nicht erst, um die damaligen „Ausnahme“- und „Notstands“-Erklärungen ad absurdum zu führen. Mit ihrer (von der verhaltenen Kritik einzelner Abgeordneter abgesehen) umstandslosen Beteiligung an den erneuten Nato-Drohungen und Luftschlagsvorbereitungen gegen Serbien hat die rot-grüne Regierung dafür längst selbst gesorgt und die Kritik und Warnungen des letzten Herbstes bestä-tigt.

Über den aktuellen Konfliktfall Kosovo/Serbien hinaus und mit Blick auf die anstehenden Strategieentscheidungen der Nato beim Washingtoner Gipfel Ende April rät das IFSH der Bundesregierung zum klaren Widerspruch gegen alle Bestrebungen der USA und anderer Bündnispartner, die „Begrenzung des Vertragsgebietes aufzuheben und die Nato zu einem weltweit operationsfähigen Interventionsinstrument auszubauen“.

Beim Verzicht auf die atomare Ersteinsatzdoktrin der Nato, wie in der Koalitionsvereinbarung formuliert und kürzlich von Bundesaußenminister Joschka Fischer thematisiert, mahnt das IFSH mehr Selbstbewußtsein an: „Als eines von 16 souveränen Bündnismitgliedern kann Deutschland einen Bündnisbeschluß mittragen oder ablehnen. Es liegt folglich bei der Bundesregierung, ob die alte Nukleardoktrin der Nato auch in das (mit Konsens zu beschließende – d.Red.) neue Strategiedokument Eingang findet. Sie sollte sich dem ohne ,Wenn und Aber‘ widersetzen. Auf den bereits geäußerten Unmut der transatlantischen Führungsmacht muß sie sich einstellen.“ Andreas Zumach