Kein Verein und keiner werden

Von der Alternativpostille zum Hochglanzmagazin: Die Hamburger SM-Zeitung „Schlagzeilen“ feiert ihr zehntes Erscheinungsjahr  ■ Von Jakob Michelsen

Ausgerechnet in der Prinzenbar, inmitten von üppigem rosa Stuck und lächelnden Putten, feierte gestern die SM-Zeitschrift Schlagzeilen ihr zehnjähriges Jubiläum. Was 1988 von der Gruppe „Sündikat“ als kleine alternative Postille begründet wurde, ist heute ein Hochglanzmagazin mit einem richtigen Verlag und einer eigenen Buchreihe, und die fünf RedakteurInnen leben inzwischen von dem Blatt. Dennoch betonen sie in der Jubiläumsausgabe nach wie vor den Anspruch, ein Organ für die nicht-kommerzielle Szene zu sein. Das drückt sich zum Beispiel darin aus, daß ein großer Teil der Beiträge von LeserInnen stammt und unter den Kontaktanzeigen keine kommerziellen Studios geduldet werden. „Sündikat“ ist bis heute kein Verein und will auch keiner werden.

Die Gruppe und die Zeitschrift propagieren eine SM-Identität unabhängig von Geschlecht und sexueller Orientierung. Tatsächlich aber besteht die Redaktion ausschließlich aus Heteros, und die Geschichten, politischen Diskussionsbeiträge und Fotos in den Schlagzeilen entsprechen dem. Redakteur Matthias T.J. Grimme begründet dies damit, daß lesbische und schwule SM-AnhängerInnen lieber in ihren eigenen Szenen bleiben.

Der SM-Diskurs bewegte sich immer im Kielwasser der Homosexualität. Grimme rückblickend: „Ohne Christopher Street Day keine SM-Bewegung.“ Entsprechend analog sind die Bemühungen der Schlagzeilen-MacherInnen, so etwas wie eine SM-Community aufzubauen und Akzeptanz für ihre „Veranlagung“ einzufordern. „Was uns noch fehlt, sind prominente Identifikationsfiguren“, bedauert Grimme. Dieser Ansatz mutet ein wenig anachronistisch an angesichts der aktuellen Tendenzen zur Auflösung sexueller Identitäten. Schließlich kann Sadomasochismus, wie auch Grimme betont, im Leben sehr unterschiedliche Rollen spielen: vom gelegentlichen Experiment bis zur prägenden Identität.

Der öffentliche Diskurs über Sadomasochismus hat sich in den vergangenen zehn Jahren erheblich gewandelt. „In den 70er und 80er Jahren, als die meisten von uns ihr SM-Coming-out hatten, gab es praktisch keine entsprechende nichtkommerzielle Szene. In den linken männerbewegten oder feministischen Zusammenhängen, aus denen wir kamen, stießen wir mit dem Bekenntnis zu unseren Macht- und Unterwerfungsphantasien auf große Vorbehalte“, erinnert sich Grimme. Heute werden ihre Bücher sogar von Bertelsmann vertrieben, „für die Jüngeren ist die Schwelle niedriger geworden“. SM beginnt, in den postmodernen Kanon aufgenommen zu werden. Zwar gilt er noch als exotisch – und wird daher gerne voyeuristisch bestaunt –, aber nicht mehr als Randphänomen.

Neben den alten Pathologisierungen sieht Grimme eine Gefahr durch neue Zensurbestrebungen wie das von einer überparteilichen Fraueninitiative geplante Gesetz gegen sexuell entwürdigende Darstellungen von Frauen und Kindern heraufziehen. Sadomasochismus werde immer noch viel zu oft mit realer Gewalt und Unterdrückung in einen Topf geworfen. „SM basiert jedoch auf den drei Grundpfeilern ,sicher, nüchtern und einvernehmlich'.“ Die/der PartnerIn müsse zu jedem Zeitpunkt in der Lage sein, zuzustimmen oder auch „nein“ zu sagen. „SM-Inszenierungen erfordern gerade eine besonders sensible Kommunikation zwischen den Beteiligten.“ Die nächste, 45. Ausgabe der Schlagzeilen soll sich somit aus aktuellem Anlaß dem Thema „Zensur“ widmen.