Das Versagen als Tugend

Das ist Live Art aus Deutschland: Mit Shakespeare, Brecht und Comicfiguren führt das Theater Mahagoni in den Sophiensaelen sein attraktives „bad actors“-Programm vor. Aber versucht das lieber nicht zu Hause!  ■ Von Petra Kohse

„Benutze diese Zeilen wie ein japanisches Gedicht“, rät Felix von Hugo im Programmheft und offenbart dann sein schauspielerisches Credo. Punkt 1: „Versagen ist eine Tugend“, Punkt 3: „Sei stolz auf deine Handicaps. Zeig sie.“ Felix von Hugo ist bekennender „bad actor“ und ganz bestimmt ein glücklicher Mensch. Gemeinsam mit neun Kollegen nimmt er am „bad actors“-Programm des Theaters Mahagoni teil, der neuesten Produktion der aus Hildesheim stammenden, zuweilen aber auch in Berlin produzierenden Gruppe um den Regisseur und Darsteller Albrecht Hirche.

Dieses Programm ist wahrlich ein Befreiungsschlag. Hier darf ein Schauspieler alles, wovor er sich in seinem bisherigen Bühnenleben gefürchtet haben mag: den Text vergessen, Auftritte verpassen, das falsche Kostüm tragen, die Handlung sprengen und sich ohne jedes Vermögen Hauptrollen unter den Nagel reißen. „What is it, that makes bad acting so different, so appealing?“ fragt diese Inszenierung, in der meist Englisch, zuweilen aber auch Deutsch und Griechisch gesprochen wird, in jeder Szene aufs neue.

Und hat die Antwort doch abermals schon im Programmbuch geliefert: „Bad acting: Don't do it at home. Leave it to the Professionals.“ Ohne Charme, Talent und Geschmack, ohne Gefühl für den richtigen Augenblick und jeglichen Erfolg sind schlechte Schauspieler eben nur scheinbar Menschen wie du und ich — sie nämlich haben jede Menge Spaß dabei. Und so kommt es, daß das Mahagoni-Ensemble in den Sophiensaelen fast zwei Stunden lang immer wieder die Scheinwerfer über elend verworrenen Szenen erlöschen läßt, um beim nächsten Aufblenden mit neuem Schwung wieder ganz dazusein: zu allem bereit, zu nichts zu gebrauchen.

Auf der meist kahlen Bühne posieren Mimen in erschütternder Nacktheit, erklären Schauspielaspirantinnen, was sie jetzt spielen würden, wenn sie gerade spielen könnten, was sie spielen wollten, wird der „Sein oder Nichtsein“- Monolog kniend auf griechisch gebrüllt, träumt eine Romantikerin zu mexikanischer Folklore von ihrem großen Auftritt (den ihr dann eine andere wegschnappt) und führt der Regisseur vor, daß jeder wie eine kleine, zarte Dame atmen kann, selbst wenn er gerade nackt und auch noch recht füllig ist.

Das alles muß man sich extrem gut gelaunt vorstellen, was wohl vom souveränen Distinktionsgewinn herrührt, den die bad actors mit der Akzeptanz ihres Soseins für sich verbuchen können, und über den sie — schlechte Schauspieler, die sie sind — auch schnell vergessen, schlecht zu spielen. Nie war mehr blinkende Sehnsucht, schwungvolle Hoffnung und ironische Koketterie in den Sophiensaelen, nie war episches Theater so formschön wie heute. Denn das ist das zweite Standbein dieses Abends der dauernden Licht-, Kostüm-, Perücken- und Stimmungswechsel: daß immer wieder Geschichten von anderswo erzählt werden. Aus Film & Fernsehen oder auch dem richtigen Leben, Geschichten zum Ausleihen und Anziehen, Nachstellen und Ausprobieren, bis andere Spielwillige die Bühne stürmen.

Drittens und auch sehr schön, gibt es noch so etwas wie eine Choreographie. Eine schwippende und schwappende Chorus Line, die sich immer bildet, wenn gerade keiner aufpaßt, viertens sogenannten Publikumskontakt und fünftens den „unsozialen Bob“, eine „Mischung aus dem dänischen Theater des Hasses und einer amerikanischen Comicfigur“, wie der „Erfinder“ der Szene stolz anpreist und dabei auf einen wildgewordenen Hampelmann im rosakarierten Anzug zeigt. Das ist Live Art aus Deutschland. Theater, das das gesamte kulturelle Umfeld als sein Textbuch buchstabiert. Theater, bei dem man immer nur die Hälfte mitbekommt, sich aber alles erklären kann. Ganz wie im richtigen Leben. Oder eher doch wie im japanischen Gedicht?

Bis 14.2., je 20 Uhr, Sophiensaele, Sophienstraße 18