„Fred, ich will ein Auto“

■ Bremens dritter gesamtdeutscher Fahrradkongreß setzte erstmals auf den Event. Ein kleiner Rundgang über den aktuellen Fahrradmarkt in der Stadthalle.

Christian im Rikscha vom Stadthallen-Foyer zur Messehalle 4: „Vorhin ist einer über den Lenker gegangen. Ist doch klar“, sagt er: „Räder mit Federung vorne in der Radgabel gehen beim Bremsen mit dem Hintern hoch.“ Trotzdem steht er auf Gabelfederung: „Muß man eben mit umgehen können.“

Der Fahrradmarkt als Erlebnisraum – was im halbwegs modernen Fachhandel längst absolutes Muß ist, wurde nun Wirklichkeit bei der dritten Fahrradmesse in den Bremer Messehallen. Das Volksfest mit Probebahn bildete am Sonntag nachmittag das bunte Element des inzwischen größten deutschen Fachkongresses der Branche: Mindestens 15 Räder gleichzeitig waren ständig in der Arena unterwegs - Stars: die dreirädrigen Liegeräder, in denen die Youngster mit Klasse-Bodenhaftung in die Kurve gingen. Am Samstag hingegen war für das fröhliche Quietschen an den Schnittstellen von „ähem, Infotainment“ (Veranstalterin Ulrike Saade vom Verband selbstverwalteter Fahrradbetriebe) und Alternativ-Ideologie der Talkmaster Götz Alsmann zuständig, der zur kollektiven Trauerarbeit aufrief: Im Gedenken an „den Ein-Mann-Familienbetrieb“ der Siebziger Jahre, der sich noch „mit der Pinzette über seine alte Leze“ hermachte. Erleichtert lachte das zahlreiche Branchenpublikum: Vorbei sind die Bastlerzeiten (ach, ach!) vorbei.

Soviel zum –tainment. Als sachkundiger Informant hingegen diente Wolfram Hartmann vom Verband selbstverwalteter Fahrradbetriebe (VSF). Da ist zum einen die Gangschaltung von Rohloff: Ganz klar erste Sahne! Als Maschinenbau-Ingenieur und Sympathieträger der Branche hat der Kasseler Bernhard Rohloff seine 14-Gang-Nabenschaltung nun nach sechs Jahren Entwicklungszeit in die Serienproduktion gebracht. Das ist der Einbruch in die Kettenschaltung: 14 Gänge hintereinandergeschaltet entspricht 27 Kettengängen, super einfach zu bedienen, völlig wetterunabhängig, im Stand zu schalten, usw, wow.

Gespalten bleibt der Sattelmarkt: Lederkern versus Gel. Leder braucht Dauernutzer zwecks Hinternanpassung, Gel schwitzt, sitzt sich aber inzwischen nicht mehr breit. Aufgepaßt: Wer nach vorn gebeugt sitzt, braucht Gel im Schambereich, wer gerade sitzt unter den Pobacken. Schlösser: Gegen die „Freunde der Schließtechnik“ mit ihrem Picking-Werkzeug (die 'Hacker' der Branche) ist kein Schloß gefeit – hier hilft zur Zeit nur das Prinzip Hoffnung. Licht: Die Fahrradmanufaktur hat eine wunderbare Verkabelung – das Wichtigste: Masse vom Strom trennen! Bremsen: Mit den V-Breaks bringen auch Kinder ihre Hinterräder zweifingrig & gefühlvoll zum Schleudern – vergessen Sie die Rücktrittbremse!

Voll im Trend mit seinem Lob lag übrigens Karl-Ludwig Brühl von der Bremer Messe GmbH. Eine solide Entwicklung ohne große Visionen bescheinigte er dem dritten deutschen Fahrradkongreß seit 1997: Ein gewisses Risiko war der Publikumsnachmittag – den aber habe man als Bremer Messe GmbH „finanziell abgefedert“.

Solidität und Federung gehörten zu den Leitbegriffen des diesjährigen Fahrradkongresses. Faustregel fürs solide Rad: je dicker der Rahmen, desto sicherer das Fahren. Deswegen ist das Rad der späten Neunziger so häßlich. Die Rohre müssen unförmig voluminös sein, selbst Rennräder sehen aus wie doofe Mountainbikes – das Metall hingegen kann dann ruhig hauchdünn sein.

Schwieriger ist die Geschichte mit der Federung – vom Markenfabrikanten bis zum Billighersteller hoffen hier alle auf den großen Boom. Das tollste Rad der Messe, ein gelbroter Renner von Cannondale (8.100 Mark), hat seine Feder jetzt im Steuerrohr gleich unter dem Lenker: Damit sich die Energie nicht irgendwo zwischen den Gabeln verwurstelt. Beim Sprint, für den Fight auf der Zielgeraden, läßt sich die 2000-Mark-Feder per Knopfdruck blockieren.

Aber auch Stadträder wie das blaue Kangaroo sind heute voll gefedert und kosten 3.400 Mark – knapp die Hälfte davon geht in Feder und Dämpfung. „Muß sein!“, sagt der Mann vom Hersteller Utopia, des Komforts wegen. „Dämpfung für den Komfort ist Pipifax“, sagt hingegen Feder-Vertreter Michael Bischofsberger: Für den Hausgebrauch mit 30 km/h über Kopfsteinpflaster reiche eine Marken-Federung für 190 Mark. Die gedämpfte Rückfederung brauche erst der Profi bei achtzig Sachen durch die Schlaglöcher.

Wenn das Frau Erika Hansmann gehört hätte! Auf der Showbühne bei Götz Alsmann beweinte die Kommunikationsberaterin bitterlich den Werbeflop „Komfortrad“: „Das ist nicht richtig kommuniziert worden.“ Techniker wie Bischofsberger hätten ihr ihre Lifestyle-Kampagne kaputtgemacht. Kann doch in einem Land, in dem es Räder soviel wie menschliche Wesen gibt, sowieso nur noch der Trend zum Drittrad weiterhelfen: das Einkaufsrad für die Pfunde, das Mountainbike gegen die Pfunde und dazwischen, als Neuheit, das vollgefederte Komfortrad als ein „heruntergebrochenes“ (Hansmann) Mountainbike.

Größte Käufergruppe ist nach Auskunft von VSF-Mann Hartmann übrigens die Frau über Vierzig, was das Alsmann-Podium aufs Politischste verstörte. „Glaub' ich nich'“, verweigerte sich Radfahrer Scherf kategorisch dem quantifizierenden Verstand. Alle Auto-Ausstiegsszenarien seien damit ad absurdum geführt, und alles bliebe schlichtweg bei der alten Rollenverteilung, kommentierte knochentrocken Götz Alsmann: „Fred, duhu, ich brauch ein Auto. Sei still, Mutter, ich kauf dir ein Komfortrad.“ ritz