Bremen wieder Zünglein an der Waage

■ Die Staatsangehörigkeitsreform steht auf der Kippe / Wenn Bremen im kommenden Juni rot-grün wählt, ist die Mehrheit im Bundesrat wieder sicher / Die Sozialdemokraten schweigen

Die CDU wittert Frühlingsluft. Der Sieg von CDU und FDP in Hessen sei eine „Maßvorlage“ für die Bürgerschaftswahlen im Juni, jubelte CDU-Landeschef Bernd Neumann gestern. „Am Beispiel der Landtagswahl in Hessen hat sich gezeigt, daß rot-grüne Büdnisse dort, wo sie regieren, sehr schnell zur Enttäuschung und Verunsicherung bei den Wählern führen.“ Bei der Bürgerschaftswahl müsse ein rot-grünes Bündnis verhindert werden. Deutlich leiser klangen die Töne der Grünen. „Eine herbe Niederlage“, mußte Landesvorstandssprecher Hucky Heck einräumen und machte unter anderem die „oftmals zu hohen Erwartungen an die Bonner Koalition“ für die Wahlschlappe verantwortlich. Er fürchte, daß sich bei den Christdemokraten jetzt die „Stoiber-Linie“ stärker durchsetze, erklärte Heck mit Blick auf die Unterschriftensammlung der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Nach Angaben von CDU-Geschäftsführer Günter Feldhaus haben die Bremer Christdemokraten inzwischen etwa 5.000 Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gesammelt. „Das national-konservative Weltbild als CDU-Positionsanker hat auch in der Bremer CDU viele Freunde“, mahnte Heck und machte einen erneuten Annäherungsversuch bei den Sozialdemokraten. „Auch nach der Hessenwahl setzen die Bremer Grünen auf eine Koalition mit der SPD.

Doch aus dem SPD-Haus kam gestern keine Erklärung. Bürgermeister Henning Scherf (SPD) hatte unlängst erklärt, daß er die Große Koalition gerne fortführen würde. Für das Schweigen im SPD-Haus gibt es womöglich einen einfachen Grund. Wenn die BremerInnen am 6. Juni an die Wahlurnen gerufen werden, um die 100 Abgeordneten für die Bürgerschaft zu wählen, wird das kleinste Bundesland zum Zünglein an der Waage. Mit dem Sieg der CDU und der FDP in Hessen hat rot-grün die Mehrheit im Bundesrat verloren. Über die Hälfte aller Bundesgesetze können nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des Bundesrats in Kraft treten. Das heißt, die Staatsangehörigkeitsreform steht auf der Kippe. Derzeit streiten sich Staatsrechtler um die Frage, ob die Reform mit Hilfe einer Grundgesetzänderung auf den Weg gebracht werden muß oder nicht. Für eine Grundgesetzänderung wäre im Bundestag und Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich. Auch vor der Hessen-Wahl war das eher ausgeschlossen. Nach einer Karlsruher Entscheidung aus dem Jahr 1990 ist für die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts allerdings keine Verfassungsänderung, sondern nur ein einfaches Gesetz vonnöten.

Und der Bundesrat faßt seine Beschlüsse mit Mehrheit – es müssen grundsätzlich 35 der 69 Stimmen zusammenkommen. Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich abgegeben werden. Rot-grün hat nach der Hessen-Wahl aber nur noch 33 Stimmen. Auf die unionsregierten Länder entfallen jetzt 31 Stimmen. Die übrigen Länder wie Bremen, Berlin und Thürnigen werden von einer Großen Koalition oder wie Rheinland-Pfalz von SPD und FDP regiert. Diese Länder haben zusammen 15 Stimmen. Wenn Bremen nach der nächsten Wahl wieder von einer rot-grünen Koalition regiert würde, hätten Grüne und SPD wieder die Mehrheit im Bundesrat. Daß Bonn Signale nach Bremen sendet, um einer rot-grünen Koalition den Weg zu ebnen, will derzeit natürlich niemand bestätigen.

Kerstin Schneider