Die Pest des Organisierten Verbrechens erreicht Münster Von Karl Wegmann

Böse, meist evangelische Zungen behaupten, in der Westfalenmetropole Münster gehe es ungefähr so aufregend zu wie in einem keltischen Grabhügel, nur nicht so laut. Sie sagen, Münster sei ein Ort, wo sich Nebelkrähe und Weihwasserfrosch gute Nacht sagen, eine Stadt, die zu drei Vierteln im Sack der katholischen Kirche steckt, den Rest saugt die Stadtsparkasse aus. Die Bevölkerung bestehe aus dekadenten BWL-Studenten und der seltenen Spezies westfälischer Dickschädel. Humor hat dieser Menschenschlag nur, wenn er von oben verordnet wird (Karneval). Das ist natürlich alles Quatsch.

Ein Blick in die Lokalzeitung genügt, um den Beweis der Weltoffenheit der Einwohner und der pulsierenden Lebendigkeit der Großstadt zu finden. Seit Wochen beschäftigt zum Beispiel der Kampf gegen das Organisierte Verbrechen die Bevölkerung. Alles fing mit einer kleinen Meldung der Polizei an, in der von „professionellen Hortensien-Dieben“ in einer Schrebergartenkolonie berichtet wurde. Das löste eine Lawine von Strafanzeigen aus. Verschiedene Polizeistationen wurden von erbosten Bürgern regelrecht gestürmt: Über 100 private und in Vereinen organisierte Hobby- und Kleingärtner berichteten von Übergriffen der „Trieb-Täter“.

„Je nach Anlage schneiden die Strauchdiebe fachmännisch bis zu 70 junge Triebe aus den Hortensienbüschen, um damit offenbar Handel oder Zucht zu treiben“, gab die Polizei bekannt. Die Folgen sind verheerend. Die geschändeten Büsche werden im kommenden Sommer nicht blühen. In der Lokalpresse war nur noch von der „Hortensien-Mafia“ die Rede. Die Polizei richtete eine Hotline ein („Wo in Deutschland werden Hortensientriebe billig und in großen Mengen angeboten?“) und bat das gesamte Münsterland um Mithilfe.

Als das Geschrei und die Aufregung am größten waren, meldeten sich Fachleute zu Wort („Die Hortensiendiebe sind nie und nimmer zweibeinig“), und die Überschriften lauteten nun: „Jagt die Polizei ein Phantom?“ Der Besitzer einer Baumschule: „Vom gärtnerischen Standpunkt ein Unding!“ Die Mitarbeiterin eines Gartencenters: „Hortensienstecklinge werden nicht jetzt abgeschnitten und vermehrt, sondern ausschließlich im Frühsommer, und dann nur unter ganz idealen Boden- und Klimabedingungen.“ Ein Gärtnermeister nannte schließlich die Täter beim Namen: Kriminelle Karnickel! Der gemeine Mümmelmann würde nämlich die dünnen Triebe mit einem Biß durchtrennen, so daß sie aussähen wie mit einem Messer abgeschnitten.

Die Münsteraner Bevölkerung spaltete sich. Hier die Vertreter der Zweibein-Theorie („Wahrscheinlich waren es Holländer“!); dort die Kaninchenverbiß-Anhänger. „Gegen Karnickel, die sich gerne Rosen- und Obstbaumtriebe schmecken lassen, spricht, daß ihre Vorliebe für Hortensien nicht bekannt ist“, argumentieren die einen. Worauf geantwortet wird: „Es ist doch bekannt, daß die Langohrigen überraschend ihre Geschmäcker ändern.“ Ob zwei- oder vierbeinige Mafia, feststeht, daß es bis heute keinen einzigen Augenzeugen gibt. Aber spricht das nun für Karnickel oder raffinierte Holländer? Die Diskussion geht weiter, wird aber kurzfristig unterbrochen: „Karneval“ steht im Kalender, und da tut der Münsteraner seine Pflicht und lacht.