Tender Studies

■ Der koreanische Einfluß im bundesdeutschen Gesundheitswesen

Es gibt tamilische, thailändische, australische, iranische, philippinische, afrikanische, russische, vietnamesische und südkoreanische Frauengruppen in Berlin. Letztere laden zum 17. März alle organisierten Immigrantinnen in das „TAM“ Wilhelmstraße ein, um gemeinsam etwas gegen die „wachsenden Rechtstendenzen“ zu unternehmen. Für die koreanische Frauengruppe eine Art Déjà-vu. Wegen des „Pflegenotstands“ in Krankenhäusern wurden Mitte der 60er Jahre rund 10.000 südkoreanische Krankenschwestern über einen offiziellen Seouler Schlepper namens Dr. Lee ins Land geholt. Sie zahlten ihm dafür monatlich 80 Mark (plus einmal 300 Mark „Kopfgeld“) ihres Gehalts, das etwa 350 Mark im Monat betrug.

1977 stieg die Arbeitslosigkeit in der BRD auf über eine Million, und man begann, Deutschen Arbeitsplätze auf Kosten der Ausländer zu verschaffen: Den Koreanern (neben den Krankenschwestern gab es noch 6.000 koreanische Bergarbeiter im Ruhrgebiet) wurden plötzlich Aufenthaltsgenehmigungen verweigert. Sie organisierten daraufhin eine Unterschriftenaktion und im März 1978 eine Großveranstaltung in Münster gegen ihre heimliche Abschiebung. Das war der Beginn der bis heute bestehenden bundesweiten Frauengruppe.

Mittlerweile haben die allein 4.000 in Berlin lebenden Südkoreaner (insgesamt sind es 20.000) mehrheitlich keine Probleme mit ihrem Aufenthaltsstatus, aber sie fürchten um die Zukunft ihrer „zweiten Generation“: „Heute sind durchschnittlich 80 Prozent dieser ehemaligen Krankenschwestern mit einem deutschen Mann verheiratet und haben zwei Kinder im Alter zwischen 10 und 19“, hieß es 1994 in einer Broschüre zu ihrem 25. Jahrestag.

Eine von ihnen heißt Eu-Ok Shu. Sie kam 1974 hierher und lebt – inzwischen von ihrem Mann getrennt – mit ihren drei Kindern in einem alternativen Kreuzberger Wohnkomplex. Die drei Mädchen gehen aufs Gymnasium, wo die zwei älteren die Schülerzeitung redigieren. Ihre Mutter eröffnete gerade zusammen mit vier anderen eine Naturheilpraxis in der Kreuzberger Böckhstraße 39. Sie bietet dort Akupunktur und Kinesiologie (die traditionelle chinesische Medizin) an und arbeitet nebenbei in der Altenbetreuung. „Vor allem den Senioren begegnen wir anders als die deutschen Kollegen, denn in unserer Kultur werden ältere Menschen besonders respektiert“, sagt Frau Shu.

Auch bei den übrigen Patienten sind die sehr gut ausgebildeten koreanischen Krankenschwestern, die anfangs meist zu Putzarbeiten eingesetzt wurden, Sprachschwierigkeiten hatten und vom südkoreanischen Geheimdienst eingeschüchtert waren, sehr beliebt. In der Presse werden sie deswegen immer wieder gerne als „lächelnde Lotusblüten“ bzw. „mandeläugige Engel am Krankenbett“ bezeichnet. „Das finde ich bedenklich“, meint Frau Shu, denn „was würde wohl passieren, wenn wir uns einmal nicht wie Engel verhielten“?

Ansonsten gefällt es ihr jedoch inzwischen in Deutschland, auch wenn sie sich vorstellen kann, „als ältere Frau in Korea vielleicht eigenständiger und unabhängiger“ leben zu können als hier, wo das Verhältnis zwischen den Generationen sehr kompliziert ist. Zudem herrsche in der BRD „zwischen meiner und deiner Angelegenheit eine unüberwindliche Kluft. Wenn meine Töchter sagen: ,Das ist mein Zimmer, es geht dich nichts an, wie es dort aussieht!‘ oder ,Das ist meine Nase, und ich kann bestimmen, ob da Löcher reinkommen‘, dann empfinde ich das als befremdlich und werde manchmal sogar böse ... Aber es ist vielleicht wie mit dem Reis. In Deutschland ißt man ihn gerne körnig, jedes einzelne Reiskorn ist vom anderen getrennt. In Asien dagegen muß der Reis fest sein und zusammenkleben.“

Außer der koreanischen Frauengruppe gibt es hier inzwischen eine Arbeiter- und eine Studenten- sowie eine Kulturgruppe. Dort werden koreanische Tänze und Musik angeboten und Sprachkurse für die zweite Generation organisiert. Die dabei aktive Ex-Krankenschwester Jeong-Soh Rippel lud mich neulich zur Eröffnung des neuen „Zentrums für koreanischen Seon-Buddhismus“ in die Kreuzberger Oranienstraße 22 ein. Dort befand sich früher ein koreanisches Reisebüro. Der Eröffnungszeremonie – mit dem koreanischen Koan-Zen- Meister Seong Do – war eine aufwendige Restauration der zentralen Buddhafigur vorausgegangen: In strenger Klausur, verbunden mit Gebeten, hatte eine koreanische Künstlerin die Statue 14 Tage lang neu vergoldet. Dann wurde sie im Meditationsraum aufgestellt, umgeben von einem kleinen Buddha, Blumen, Obst, Kerzen und zeimal 30 roten Lämpchen in Lotusform. Der Zeremonie des „Augenöffnens“ durch drei singende und glöckchenklingelnde Mönche wohnten etwa 100 Leute bei. Meister Seong Do sagte auf englisch: „Der lebendige Zen-Geist, den wir hier gefunden haben, hat uns sehr bewegt, ebenso das Internationale.“ Anschließend begannen 30 Leute ein zehntägiges Jong Maeng Cheong Chin: eine Intensivmeditation, bei der sie sich rund um die Uhr im buddhistischen Zentrum versammelten. Morgens gingen sie als erstes mit Besen hinaus in den Görlitzer Park, um laut Frau Shu „etwas Gutes zu tun“, d. h. die Wege zu fegen – und gleichzeitig der eigenen Erleuchtung näherzukommen. Denn wenn man diese nicht erreichen kann, „dann wird jeder Grashalm zur Falle“. Helmut Höge