Wüstenkämpfe dehnen sich aus

■ Äthiopiens Offensive in Grenzregion zu Eritrea folgt auf proäthiopische UN-Resolution

Seit Monaten war der neue Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea abzusehen, und doch ist sein plötzlicher Ausbruch jetzt überraschend. Die schweren Grenzgefechte zwischen den beiden Staaten am Horn von Afrika haben sich gestern weiter ausgedehnt, wobei wie bereits am Wochenende Äthiopien die Initiative ergreift. „Die äthiopische Armee hat militärische Schlüsselpositionen erobert“, erklärte gestern die äthiopische Regierung in einem Kommuniqué, das von riesigen „Gegenoffensiven“, unterstützt von Kampfflugzeugen, berichtete. Die Regierung Eritreas meldete im Einklang damit mehrere neue äthiopische Angriffe.

Beide Regierungen sind sich zudem einig, daß die äthiopische Artillerie in Richtung des eritreischen Dorfes Adi Quala geschossen hat. Strittig ist das Ergebnis: Nach Angaben Äthiopiens dienten die Angriffe um Adi Quala der Zerstörung einer eritreischen Radarstation. Eritrea gibt an, bei dem Artilleriebeschuß seien acht Zivilisten getötet worden. Beides kann stimmen, aber es ist ebensowenig nachprüfbar wie die eritreische Behauptung, daß 250 äthiopische Soldaten getötet worden seien, oder die äthiopischen Berichte über eritreische Luftangriffe auf die Stadt Adigrat.

Klar ist jedoch, daß hier zwei der am besten ausgerüsteten Armeen Afrikas sich gegenseitig niederzuringen versuchen. Seit Eritrea im Mai 1998 mehrere kleine Gebiete an der Grenze zu Äthiopien besetzt hat, die nach eritreischer Lesart umstritten sind, hat Äthiopien massiv aufgerüstet. Von unter 100.000 Soldaten beim Ausbruch des Grenzkrieges ist die äthiopische Armee auf 320.000 angewachsen. Auf der eritreischen Seite stehen 270.000 Mann – über ein Zehntel der erwachsenen Bevölkerung des Landes. Äthiopiens Regierung, die 1991 per Sturz des vorherigen kommunistischen Militärregimes an die Macht kam, hat an alte Zeiten angeknüpft, Militärberater aus den Ländern der früheren Sowjetunion angeheuert und für 300 Millionen Dollar neue Waffen aus Osteuropa gekauft.

Politische Konfliktlösungsversuche treten weiterhin auf der Stelle. Die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) legte vergangenes Jahr einen Friedensplan vor, nach dem Eritrea als Vorbedingung für Verhandlungen um eine Neuziehung der Grenze die von ihm besetzten Gebiete räumen soll. Es überrascht kaum, daß Äthiopien diesen Plan gut findet und Eritrea nicht. Äthiopien fühlt sich offenbar jetzt diplomatisch abgesichert – die neue Offensive folgte direkt auf die Annahme der UN-Resolution 1226 durch den UN-Sicherheitsrat letzten Freitag, in dem der OAU-Plan „unterstützt“, seine Annahme durch Äthiopien „begrüßt“ und ein Nachziehen Eritreas „verlangt“ wird. Äthiopiens Armee wartete nicht einmal, bis UN-Sonderbeauftragter Mohamed Sahnoun seine Reise durch die Region beendet hatte. Es ist wohl ausgeschlossen, daß Eritrea den Plan annimmt.

Die neuen Kämpfe kommen zudem zu einem kritischen Zeitpunkt für die gesamte Region. In Somalia herrscht wieder offener Bürgerkrieg, im potentiell wichtigen Vermittlerland Dschibuti hat der alte Präsident Gouled Aptidon seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Im gesamten Horn von Afrika ist keine mäßigende Autorität in Sicht. Dominic Johnson