Lafontaine legt den Rückwärtsgang ein

■ Nach der rot-grünen Niederlage in Hessen will die SPD bei der doppelten Staatsbürgerschaft nun doch den Konsens mit der CDU suchen. Innenminister Schily und die Grünen halten bisher an der vereinbarten Reform fest

Berlin/Bonn (taz/dpa/AP) – Noch vor drei Wochen hatte Bundesinnenminister Otto Schily siegesgewiß der Union angeboten, eine Volksabstimmung über die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft abzuhalten. Seit dem Wahlergebnis von Hessen ist sich seine Partei über den Ausgang einer solchen Abstimmung nicht mehr so sicher. Der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine sprach sich gestern für einen Konsens mit der Union in dieser Frage aus. Es müsse eine Lösung gefunden werden, „die von allen getragen wird“. Die Veränderung im Bundesrat zugunsten der CDU bedeute, „daß diese jetzt mit in der Verantwortung ist und sich seriös mit der Materie befassen muß“. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, nannte das Wahlergebnis „eine Volksabstimmung gegen den Doppelpaß“.

Die Vorstandssprecherin der Bündnisgrünen, Antje Radcke, erklärte dagegen, es gebe keinen Anlaß, von der vereinbarten Reform abzuweichen. Ähnlich äußerten sich weitere grüne Spitzenpolitiker.

Wiefelspütz hatte „Korrekturen“ gefordert und erklärt, die SPD müsse „Abschied von der generellen Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft nehmen“. Der geschäftsführende SPD-Fraktionsvorstand revidierte zwar einstimmig diese Äußerung. Nach den Worten vom SPD- Geschäftsführer im Bundestag, Wilhelm Schmidt, sei die Fraktionsführung sich einig gewesen, daß es bei der bisherigen Linie bleibe. Aus Fraktionskreisen verlautete aber, möglicherweise sei in der Frage der Einbürgerungsfristen ein Kompromiß mit der Opposition denkbar.

Während Bundesinnenminister Otto Schily erklären ließ, daß er bei der Reform des Staatsbürgerrechts „auf der Linie bleiben werde“, schlug sein niedersächsischer Amtskollege Gerhard Glogowski (SPD) vor, „bis 23 Jahre die doppelte Staatsbürgerschaft zu vergeben, aber dann müssen sich die Betroffenen für eine entscheiden“. Auch der Bundesgeschäftsführer der SPD, Otmar Schreiner, plädierte für einen Konsens in dieser „hochsensiblen Frage“, forderte aber im Gegenzug von der Union, ihre „demagogische und ausländerfeindliche Hetzkampagne“ unverzüglich einzustellen. Davon will der CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble vorerst nichts wissen. Er kündigte an, die CDU werde ihre Unterschriftenkampagne fortsetzen, bis die Regierung ihre Pläne ändere. CDU-Generalsekretärin Angela Merkel erklärte mit Blick auf den Bundesrat, daß die Union darauf achten werde, „daß diese Pläne der generellen doppelten Staatsbürgerschaft so einfach nicht durchgehen werden“.

Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Entscheidend dürften die Stimmen des Landes Rheinland-Pfalz werden, das sozialliberal regiert wird. Wird die Reform dort abgelehnt, kommt das Gesetz in den Vermittlungsausschuß. Der CDU- Sozialpolitiker Heiner Geißler drängte denn auch darauf, daß mit der SPD ein parteiübergreifender Konsens anzustreben sei. dr