A 9434, Doris und ihr neues Heim

■ Mumien, Masken und kleine Sensationen: Schon bei einer Vorbesichtigung erweist sich das Schaumagazin Übermaxx als ein Trödelladen der Weltkulturen

Um A 17337 zu sehen, würde ich keine vier Mark ausgeben. Auch der Anblick von A 9434 ist keine vier Mark Eintritt wert, denn bei A 9434 handelt es sich um ein Schälchen aus Porzellan, das für ein paar Mark mehr so oder ähnlich in jedem Asia-Shop sogar zu kaufen ist. Aber es gibt im Übermaxx, dem im April eröffnenden und gestern vorab für JournalistInnen aufgeschlossenen Schaumagazin des Übersee-Museums, auch Stücke, für die kein Eintrittsgeld zu hoch ist, denn sie haben den Ruch des Sensationellen. So wie das Stück Papier, das ohne Inventarnummer in der dritten Vitrine in der Asien-Abteilung im dritten Stock aufgestöbert werden kann.

Es heißt: „Einkaufszettel für mich (Doris)“ Und darauf steht:

Milch

Brot

Eier

Stuhl

Jeans (weit mit extra Schlüsseltaschen)

neue Nummern von der Mathefakultät“

Zu welcher Dynastie dieser „Einkaufszettel für mich (Doris)“ gehört, weiß Peter Junge nicht. Denn der Völkerkundler im Übersee-Museum ist reichlich mit anderen Dingen beschäftigt, seit er vor Jahren zum Projektkoordinator für das Übermaxx wurde und darüber reden kann wie ein munter plätschernder Wasserfall. „Neben dem Museum of Anthropology in Vancouver“, sagt Peter Junge, „wird das Bremer Übersee-Museum das einzige Haus weltweit sein, das große Teile des Magazins öffentlich zugänglich macht.“ Und das Stöbern in diesem Magazin ist durchaus gewollt, selbst wenn die BesucherInnen dabei Einkaufszettel entdecken, die Mitarbeiterin Doris in einer der Vitrinen vergessen hat.

Drei von neun Ebenen in dem riegelförmig ans CinemaxX angebauten Übermaxx werden nach seinen Angaben ab April zum eigentlichen Schaumagazin. In drei völkerkundlichen Abteilungen für die Regionen Asien, Amerika und Südsee „wollen wir mit der Fülle unserer Sammlungen etwas angeben“. In zwei Seitenflügeln bieten Junge und Co. dagegen einen systematischen Streifzug durch die naturkundlichen Sammlungen an. Bis auf das Erdgeschoß, wo schon durch Schaufenster ein paar Boote angesehen werden können, sind die übrigen Ebenen aber ein normales Magazin: Die Sammlungsteile sind nur WissenschaftlerInnen oder FachbesucherInnen zugänglich und werden dem breiten Publikum nur bei Führungen gezeigt.

Rund 34 Millionen Mark hat allein der Riegel namens Übermaxx gekostet. Darin enthalten ist allerdings der Abriß der alten Staatsbibliothek, die dem Museum vorher als Magazin diente. Hinzu kommen noch die rund 40 Millionen Mark privat aufgebrachter Baukosten für das CinemaxX sowie Finanzierungskosten in Millionenhöhe aus öffentlichen Mitteln. Gleichwohl wehrt sich Peter Junge sogar ungefragt gegen Vorwürfe, das Cine-maxx sei zum Teil öffentlich subventioniert. Alle Kosten seien ganz sauber getrennt worden, sagt er.

Das gilt auch für das Gebäude und die im Vergleich zum rund hundert Jahre nutzbaren Magazin absehbar kürzere Halbwertszeit des Großkinos: „Es sieht von außen wie ein Komplex aus. Aber wir haben es so gebaut, daß man viel verändern kann, ohne das Magazin mit abreißen zu müssen.“

Auch auf das von Kollegen an anderen Bremer Museen gerne vorgetragene Geunke, ein Magazinneubau sei auch billiger zu haben, reagiert Peter Junge prompt: „Manche sind neidisch, daß bei uns das Magazinproblem gelöst ist.“ Außerdem sei die Kritik kurzfristig gedacht, denn billiger gehts nur ohne Schaumagazin. „Doch wir hoffen, einen Teil der Mehrkosten gerade durch die Eintrittseinnahmen selbst wieder zu erwirtschaften.“

Für besagte vier Mark Eintrittsgeld allein für das Übermaxx oder etwas teurere Kombitickets „Museum plus Übermaxx“ oder „Cinemaxx plus Übermaxx“ kann ab April ein riesiger und ziemlich aufgeräumter Trödelladen durchstöbert werden. Während viele Museen nur rund fünf Prozent ihrer Sammlungen öffentlich zeigen, sind es im Übersee-Museum fortan ein Viertel bis ein Drittel der 100.000 völkerkundlichen Objekte sowie ein großer Teil der naturkundlichen Stücke, zu der allein eine Insektensammlung mit einer Million Exemplaren gehört.

In der jetzt schon fast fertigen Asienabteilung sind die Früchte der Sammelwut um die letzte Jahrhundertwende in Clustern geordnet: Auf einige Vitrinen mit Bootsmodellen folgen ein paar Vitrinen mit Hüten, auf die wiederum Vitrinen mit Säbeln, Schwertern und Dolchen folgen, derweil im Seitenzweig Vitrinen mit Kannen, Siegeln, Teekannen, Vasen oder Geistergestalten gefüllt sind. Plunder folgt auf Hochwertiges, Massenartikel gesellen sich zu mitunter häßlichen, aber völkerkundlich bedeutsamen Exemplaren.

Eines fernen Tages, also in vier bis fünf Jahren, will Junge das Schaumagazin um Multimedia-Komponenten erweitern. Wenn etwa der Stöbernde das Objekt A 13563, ein Schiffsmodell mit Matrosen, entdeckt, soll er an einen von neun Computerarbeitsplätzen alle Einzelheiten über das Objekt erfahren und bei einem Musikinstrument auch hören können, wie es klingt. Und das übrigens beinahe rund um die Uhr: Im vorauseilenden Probelauf für das Museum soll das Magazin schon ab April von 10 Uhr morgens bis 23 Uhr abends geöffnet sein.

Leider wird das Objekt „Einkaufszettel für mich (Doris)“ nicht inventarisiert. Aber als kleiner Störfaktor sollte das Lieblingsstück des Chronisten unbedingt dort liegenbleiben, wo es ist. „Milch, Brot, Eier, Stuhl, Jeans (weit mit extra Schlüsseltaschen)“ macht sich neben all den Äffchen, Schiffchen oder musealen Rösselsprüngen wie „A 9433 gehört zu A 9414 (siehe Objekt)“ dieses Trödelladens der Weltkulturen einfach sehr gut. Christoph Köster