Prostitution als Familientherapie

■ Die eine will Anerkennung, die anderen wollen Sex: Kim Ki-Duks Film „Birdcage Inn“

Auch wenn es naheliegt: Man kann nur schwerlich behaupten, daß es in diesem Film allein um Sex geht. Ort der Handlung ist das „Birdcage Inn“, eine Art kleiner Puff am Strand von Pohang. Vater, Mutter, Sohn und Tochter bilden den Haushalt hinter dem blauen Tor – und jene neu eingetroffene „Haustochter“, Jin-Ah, die für die sexuelle Versorgung eintreffender Gäste zuständig ist.

Im Innenhof mit dem Spülstein- Brunnen, um den herum die Zimmer angeordnet sind, trifft die Familie zusammen; hier werden keine Konflikte ausgetragen, hier guckt man sich höchstens mal böse an, spricht aber nicht miteinander. Draußen ist eine schmutzige, runtergekommene Hafengegend.

Jin-Ah entfacht bei der Familie sexuelles Begehren. Die Tochter, Hye-Mi, haßt sie, weil sie einen in ihren Augen verderbten Beruf ohne moralische Bedenken auszuüben scheint. Zudem ist die Situation in ihrem Elternhaus der Grund dafür, daß sie ihren Freund nicht einladen kann. Wohingegen ihr Bruder, nachdem er mit Jin-Ah seine Jungfernschaft verloren hat, erst einmal einen Freudenschrei ausstößt.

Später allerdings wird er beim Arzt, den er wegen seines Trippers aufsucht, peinlicherweise mit seinem Vater zusammentreffen, der sich ebenfalls von Jin-Ah einen Tripper eingefangen hat.

Kim Ki-Duk inszeniert „Birdcage Inn“ ruhig und mit genau strukturierten, schönen Bildern, die ein sorgsamer Farbeinsatz auszeichnet. Gerade die Zurückhaltung, mit der Kim die Vorgänge beobachtet, ist der verwirrenden Gefühlssituation Hye-Mis und der traurigen Beharrlichkeit Jin-Ahs am angemessensten. Allmählich entwickeln sich auf diese Weise die unterschiedlichen Motivationen der Figuren: Jin-Ah treibt die Sehnsucht nach Freundlichkeit und Anerkennung, während der Haß Hye-Mis eher ihrer Angst vor Sexualität entspringt.

Mit der Zeit aber mischt sich in Hye-Mis angewidertes Abgestoßensein auch neugierige Anziehung, sie entdeckt Gemeinsamkeiten. Schließlich fallen alle erzählerischen Bruchstücke an ihren vorherbestimmten Platz. Kims heimliches Motiv zeigt sich in jener Szene, in der Jin-Ah mit dem jungen Mann vom Strand zum Sprungturm vor der Küste hinausfährt und ihn dort in aller Öffentlichkeit und mit der größten Selbstverständlichkeit liebt, auf eine wunderbare, weltvergessene Weise. Es zeigt sich auch in jener extrem irritierenden Szene am Ende, die sexuelle Dienstleistung in Freundschaftsdienst verwandelt, wenngleich auch auf wesentlich andere Weise, als auf Anhieb zu vermuten wäre. Alexandra Seitz

Donnerstag, Panorama, 19 Uhr, 12.2. Atelier am Zoo, 13 Uhr, 15.2 International, 14.30