■ Die AKW-Gegner sollten sich gut überlegen, ob sie Trittin ausbuhen
: Die Verantwortung für den Ausstieg

Heute besucht der Bundesumweltminister das Wendland. Für diesen Job scheint Jürgen Trittin genau der Richtige zu sein. Denn er ist Kummer gewöhnt. Der Bundesumweltminister gilt als arroganter Ideologe und Buhmann im rot-grünen Kabinett. Und auch heute gibt es kein Heimspiel für ihn. Trittin wird in der Hochburg der Anti-AKW-Bewegung wohl frostig bis wütend empfangen werden. Ganz nach dem Kalkül: Je lauter der Protest, desto größer der politische Druck. Und der scheint nötig wie eh und je.

Schließlich hat auch die rot- grüne Bundesregierung bisher keine Fristen für den Ausstieg festgesetzt, ja noch nicht einmal ein Verbot der Wiederaufarbeitung durchsetzen können. Bis aber die Abschaltung der Meiler nicht präzise terminiert ist und bis nicht klar ist, wohin der Atommüll schließlich soll, wollen sie im Wendland weder einen Castor noch einen grünen Minister freundlich passieren lassen. Wir sind nicht verantwortlich für die Lösung von Problemen einer Technologie, die wir immer verhindern wollten, sagen sie in Gorleben. Sie haben recht und irren doch.

Die Probleme der Kernenergie sind evident wie nie: In den sechzehn atomfreundlichen Jahren der Kohl-Regierung hat die Atomindustrie nicht einmal einen Ansatz zur Lösung der Entsorgung entwickelt. Es ist kein Jahr her, da stand Angela Merkel (CDU) belogen, betrogen und blamiert vor den Kameras und stoppte den Transport von Atommüll in kontaminierten Castoren.

Heute haben wir einen Bundeskanzler, der wankelmütig wirken mag, aber doch überzeugt ist, daß die Mehrheit der Gesellschaft die Kernenergie nicht akzeptiert. Atomwirtschaft war immer die staatsnahe Planwirtschaft schlechthin. In Zeiten des Wettbewerbs auf dem Strommarkt wird niemand Milliarden für ein neues AKW ausgeben. Nein, diese Technologie ist mausetot. Die Frage ist nur, wie wir sie unter die Erde kriegen. Wer schaltet die hochprofitablen Meiler ab, die immer noch neuen Atommüll produzieren? Wer lagert die noch Ewigkeiten strahlenden Brennstäbe auch für die nächsten hundert Generationen so ungefährlich wie möglich? Wer kontrolliert wirksam, daß die Konzerne ihre Plutoniumwirtschaft nicht in Staaten der ehemaligen Sowjetunion auslagern?

Die politische Verantwortung für den Einstieg in die Kernenergie lag bei blind fortschrittsgläubigen Sozialdemokraten, bei Konservativen mit Atomwaffenphantasien und bei Interessensgruppen in der Wirtschaft. Die politische Verantwortung für den Ausstieg aus der Atomenergie muß bei deren Gegnern liegen! Und dazu gehört leider auch die Frage der Entsorgung.

Die Ökobewegung hat längst nicht mehr die Kraft vergangener Jahre. Zieht sie sich auf den moralisch korrekten Standpunkt zurück – keine Diskussion ohne konkreten Ausstiegsplan –, droht ihr die Marginalisierung. Es gibt nicht mehr viele Menschen, die gegen Kernenergie auf die Straßen gehen. Es gibt aber sehr viele Menschen, die gelernt haben, der Atomwirtschaft zu mißtrauen. Die Ökobewegung muß bündnisfähig mit dieser gesellschaftlichen Mehrheit bleiben. Und dafür steht nicht zuletzt Trittin, der wie kein anderer Politiker der rot-grünen Regierung sein politisches Schicksal mit dem Atomausstieg verbunden hat. Er ist auf den radikaleren Teil der grünen Partei und der außerparlamentarischen Ökobewegung angewiesen. Sie müssen sich sehr genau überlegen, wann sie Druck auf ihn ausüben. Gerade dieser umstrittene Minister personifiziert, daß der Einstieg in den Atomausstieg zwar gegen mächtige Interessen durchgesetzt werden muß, aber letztlich doch ein Projekt der Neuen Mitte ist. Setzen die Wendländer ihr Protestpotential taktisch ein, können sie via Trittin Einfluß auf den Ausstieg gewinnen. Für diesen Job ist er vielleicht wirklich der Richtige. Robin Alexander

Robin Alexander studiert Journalistik und Geschichte an der Uni Leipzig und ist derzeit Volontär bei der taz.