Wildes Österreich

Illegalität und Abschiebung als Roadmovie: Im 3001 läuft Florian Flickers Suzie Washington  ■ Von Karen Schulz

Ein Flughafen irgendwo in der westlichen Hemisphäre. Eine Frau hetzt von einem Terminal zum nächsten, um ihren Anschlußflug zu bekommen. Und wird von den Einwanderungskontrollen gebremst. Die lächelnde Stewardeß erklärt ihr in Schulenglisch, das Visum für die USA sei gefälscht. Im Gesicht der Reisenden erkennt man: Eine Welt bricht zusammen.

Denn Nana (Birgit Doll) ist eigentlich auf dem Weg von ihrer russischen Heimat ins Wunschland USA, um dort ihren Onkel zu besuchen. Und strandet statt dessen ausgerechnet in Österreich. Aus der geplanten Reise wird eine Flucht – denn die Alternative, mit dem nächsten Flieger nach Hause zurückgeschickt zu werden, ist für sie keine: „My country commits suicide“, erklärt sie der Sozialhelferin, die sie nach einer Nacht im Transitbereich des Flughafens weichkochen will für den Rückflug. Statt dessen entkommt sie auf dramatische Weise.

Die Flucht wiederum wird zur – ungewollten – Reise: Nana erschleicht sich die unterschiedlichsten Transportmittel, die sie quer durch Österreich kutschieren. Ihr Weg führt dabei per Bus, Truck, Motorboot oder Berglift immer weiter ins touristengewöhnte Land, in dem man ihr mit unverbindlicher Freundlichkeit begegnet, denn man will schließlich Geld an der Fremden verdienen. Immer den Weg aus diesem Land vor Augen, paßt sich Nana der jeweiligen Umgebung an, streift fremde Identitäten wie etwa den Namen Suzie Washington über, als wären sie Kleidungsstücke, und legt sie ebenso schnell auch wieder ab. Die attraktive dunkelhaarige Frau ist unglaublich souverän, eine Einzelkämpferin, und geht durch den Film, als wäre sie die weibliche Variante Lucky Lukes, frei nach dem Motto „I'm a lonesome cowboy and a long way from home“. Nur daß sie eben noch nicht in den USA ist.

Suzie Washington, der zweite Spielfilm des in Wien lebenden Regisseurs Florian Flicker, wurde 1998 in Graz mit dem Hauptpreis der Diagonale, Österreichs höchstdotiertem Kinopreis, ausgezeichnet. Zu Recht, denn der Streifen ist spannend, einfühlsam – und schräg. Das liegt vor allem an der kaubonbonsüßen Verpackung der ernsten Story um Illegalität, Abschiebung und Flucht: Die Aufnahmen könnten problemlos als Werbefilm für das ach so schöne Österreich durchgehen. Man sieht Almen mit Bergpanorama sowie gebräunte Menschen im Freibad, fröhliche Kinder beim Ballspielen und pittoreske Fachwerkhäuschen – Klischees zuhauf also. Heile Welt suggeriert auch die Sprache: Nana tönt allerorten breites Österreichisch entgegen. Englisch untertitelt übrigens – eine ganz eigene Spaßebene. Daß Nana dem nur rudimentäres Englisch entgegenzusetzen hat und daher die Kommunikation beim groben Informationsaustausch bleibt, ist ein krasser Bruch mit den heimatfilmartigen Bildern. Hier prallen zwei Welten aufeinander, die so überzeichnet, wie sie sich darstellen, eigentlich nicht existieren können – und erstaunt stellt man fest, daß beide dennoch real sind. Vielmehr noch: daß sich die Realität erst mit der Koexistenz beider Welten einstellt.

Damit Nana den Boden der Realität nicht unter den Füßen verliert, übt sie eine Überlebensstrategie, die diese heile Welt zuläßt und sie zugleich ironisiert: In Gedanken kommentiert sie die Geschehnisse in Form von Urlaubskarten-Texten an ihren „Dear Uncle“ in Amerika. Und erst damit wird die Flucht zur Reise.

Einem abrupten Befreiungsschlag – der erst die Anspannung der 87 Minuten spürbar werden läßt – kommt das Ende gleich: Der macht das Geschehene fast ungeschehen, wenn er an den Anfang anknüpft und die Einzelkämpferin zurück über die Wolken führt.

Do, 11. bis Mi, 17., 20.30 Uhr; Do, 18. bis Mi, 24., 18.15 Uhr, 3001