Verschreckt statt irr

In seinem Dokumentarfilm „A“ macht sich der Japaner Mori Tatsuya auf die Suche nach den Resten der Aum-Sekte  ■ Von Thomas Klein

„Gemetzel“, schreien Texttafeln die Zuschauer an, „tödliches Sarin“, „5.000 Verletzte“ und „12 Tote“. Der Giftgasanschlag in Tokios U-Bahn, der wohl größte Terrorakt in der japanischen Geschichte, erschütterte das Land nicht nur, weil das Sicherheitsgefühl der auf Ordnung und Homogenität bedachten Gesellschaft empfindliche Risse bekam.

Sondern auch, weil es sich bei den Tätern um Mitglieder der zuvor eher unauffälligen Aum-Sekte handelte. Doch „A“ läßt die Medien-Hysterie rasch hinter sich. Tatsächlich folgt Tatsuya hier nämlich keiner polizeilichen Ermittlung und er analysiert höchstens en passant die sensationsgierige Presse.

Im Mittelpunkt seines Films steht statt dessen der junge Araki, der die Pressearbeit der Sekte betreut, nachdem die Aum-Anführer im Gefängnis gelandet sind. Der Dokumentarfilmer folgt im Stil des Cinéma Verité den alltäglichen Geschäften des eher schüchternen Japaners. Das wirkt zunächst allzu freundlich, fast anbiedernd – wenn Tatsuya aber widerspruchslos und unkommentiert jedes noch so alberne Glaubensbekenntnis der Aum-Mitglieder wiedergibt, jede religiöse Selbstzüchtigung und -verleugnung zeigt, entlarven sich Araki und die verbliebenen Aum- Mitglieder ganz von selbst: nicht als gemeingefährliche Irre mit Massenmord-Phantasien, eher als verschreckte und orientierungslose junge Menschen, denen das religiös-spirituelle „Training“ der Sekte in irgendeiner Form wirklich geholfen hat. Daß die größtenteils vom Buddhismus abgekupferten Lebensregeln und Techniken wenig originell sind, spielt keine Rolle.

Also zeigt die erste Hälfte von „A“ Alltag und Selbstverständnis der angefeindeten Sektierer und ihre bedingungslose Ergebenheit gegenüber ihrem eingekerkerten Anführer Asahara. Sicherlich verlange Aum den Verzicht auf weltliche wie fleischliche Genüsse – wenn Asahara und seine Führungs-Clique Sex-Parties feiern, sich teure Autos leisten und selbst im Gefängnis üppige Steaks ordern, ist das für die Zurückgelassenen aber kein Problem. Widersprüche gebe es nicht, denn „der Meister“ entscheide schließlich, was dem „Glauben“ entspricht. Der „Meister“ ist unfehlbar.

Später, wenn der Prozeß gegen Asahara und andere Führungsmitglieder Aums läuft, bekommt „A“ einen anderen, deutlich ernsteren Tonfall. Denn dann wird klar, daß die übriggebliebenen Sektenmitglieder willkommene Sündenböcke für eine schockierte Gesellschaft und ihre einseitigen Medien sind. Der Pressesprecher wird zunehmend zum Konkursverwalter der Sekte, schon droht ein „Anti- Subversiven-Gesetz“ Aum zu verbieten.

Beim Verlassen eines „Tempels“ werden Araki und einige Freunde dann überfallen – von teilweise Uniformierten, die man zunächst für Mitglieder einer Bürgerwehr hält. „Gib uns deinen Namen“, schreien sie, „wenn nicht, machst du dich nur noch verdächtiger!“ Daß es sich bei dem handgreiflichen Mob um die örtliche Polizei handelt, ist eine unschöne Überraschung. Aber nichts wirklich Neues.

Forum: heute, Zoo Palast (Kino 7), 11 Uhr u. Delphi, 16.15 Uhr; 12.2, Arsenal, 21 Uhr; 13.2, Akademie der Künste, 19 Uhr