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Allseitiges Zufriedenheitsgrinsen

■ Blomstedt und Beck kommen: Bei den NDR-Sinfonikern sind die Weichen gestellt

Die Botschaft hätte kaum klarer sein können: Ganz vorne wolle man mit den NDR-Sinfonikern in Zukunft mitspielen, verkündete Intendant Jobst Plog der versammelten Journalistenriege. Der feierliche Akt, zu dem Funktionäre des Nord-Senders am Freitag in die Rothenbaumchaussee geladen hatten, war denn auch bestens geeignet, dieser Willensbekundung Glaubwürdigkeit zu verleihen. Herbert Blomstedt, international berühmter Stardirigent schwedischer Herkunft, unterzeichnete unter Blitzlichtgewitter und allseitigem Zufriedenheitsgrinsen seinen Vertrag als künftiger musikalischer Oberleiter des Orchesters.

Eine zweite, ebenso wichtige Verpflichtung, die Plog bekanntgab, drohte dabei im allgemeinen Rummel unterzugehen: Die Geschicke der Klangkörper des NDR, der neben dem Hamburger Orchester noch eine Bigband, einen Chor und die Radiophilharmonie Hannover beschäftigt, soll ab ersten Januar nächsten Jahres Rolf Beck, bislang Intendant der Bamberger Sinfoniker, lenken und in betriebswirtschaftli-chem Sinne koordinieren. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit wird vor allem darin liegen, die Popularität des Orchesters als Flaggschiff der Rundfunkanstalt sowohl in der breiteren Öffentlichkeit als auch insbesondere beim Hamburger Publikum zu erhöhen. Denn waren die Bruckner-, Brahms- und Beethoven-Abende des Ehrendirigenten Günter Wand stets schon weit im voraus ausverkauft, fanden die übrigen Konzerte trotz vielseitiger Programme, klangvoller Namen und mäßiger Eintrittspreise bislang eher schwache Publikumsresonanz.

Wenn der neue Manager seinen Posten auch erst im nächsten Jahr antritt, ist doch bereits die gestrige Vertragsunterzeichnung im wesentlichen sein Werk. Bloße Sondierungsgespräche hatte es, so Beck, vordem gegeben, er habe dann jedoch die Verhandlungen innerhalb weniger Gesprächstermine schnell und erfolgreich beenden können. Die Wahl Blomstedts steht dabei für die Taktik, die Beck sich vorstellt, um das seiner Meinung nach vorhandene Entwicklungspotential des Orchesters optimal auszuschöpfen. „Eine Rundfunkanstalt kann mit ihrem Orchester entweder einen Kurs fahren, wie es Gielen sehr erfolgreich mit dem Südwestfunk tut, oder so einen, wie es der Bayerische Rundfunk mit Maazel macht. Wir werden da einen Mittelweg suchen.“

Das Sowohl-Als-auch von Maazels Klassiker-Starglamour und Gielens modernistischer Intellektualität ließ sich denn auch den vagen Programmandeutungen entnehmen, mit denen Blomstedt im zweiten Teil der Pressekonferenz aufwartete: Mahler wolle man spielen, auch viel Richard Strauss, das sei für die Klangkultur unausweichlich, aber auch die älteren Meister. „Ein Teil unserer Aufgabe ist museal, das wollen wir auch gar nicht ändern.“ Doch Blomstedt sieht auch in der Repertoirepflege innovative Aspekte: „Sehen Sie, wie Furtwängler gespielt hat, das war zu seiner Zeit gut und richtig, heute wäre es einfach falsch. Das Leben, wir selber, alles ändert sich, wie könnte unsere Sicht der Musik da die gleiche bleiben?“

Neben diesem Teil seiner zukünftigen Hamburger Tätigkeit sieht der Dirigent, dessen Programmgestaltungen während seiner Zeit bei der San-Francisco-Symphony von der US-Presse für ihren Wagemut viel gelobt wurden, aber auch Raum für Neues. „Aus Amerika bringe ich einiges an neuer Musik mit, wovon einiges wirklich beeindruckend ist. Und die ganze Musik, die in Deutschland in den letzten zehn Jahren komponiert worden ist, kenne ich gar nicht. Da gibt es sicher viel zu entdecken.“ Dem Hamburger Publikum traut der Maestro dabei durchaus genug Neugier auf Unbekanntes zu. Als sehr aufmerksam und gebildet habe er die Hamburger bei seinen bisherigen Konzerten in der Hansestadt empfunden.

Mitentscheidend für die Wahl des Schweden, der nach Aussage der NDR-Oberen zugleich der Wunschkandidat des Orchesters war, werden dessen gute Kontakte zur Plattenindustrie gewesen sein. Gespräche mit der Decca, Blomstedts Hausproduzenten, werden bereits geführt, mehrere Projekte erörtert, bei denen der Maestro den von ihm gerühmten warmen, dunklen Klang der Sinfoniker auf Silberscheibe bannen will.

Die einzige Trübung in der allgemeinen Glückseligkeit bildete der Schatten des großen Alten, des Ehrendirigenten Günter Wand, der bislang den Exklusivzugriff auf die Herzstücke des Repertoires besaß. Doch auch in dieser Hinsicht waren Intendant Plog und Blomstedt bemüht, die besorgte Presse zu besänftigen: Einen Briefwechsel zwischen den beiden Musikern habe es gegeben, alles sei in bester Ordnung, der Alte werde auch weiterhin sein Orchester dirigieren, der Neue mit ihm die alten Rechte teilen. Das nächste Konzert Blomstedts in seiner neuen Position kündigt diesen behutsamen Generationswechsel bereits an: Am 31. Oktober wird neben Straussens Zarathustra auch Brahms Vierte Sinfonie auf dem Programm stehen.

Jörg Königsdorf

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