Zum Preis von neuen Nöten

■ Kampnagel: Gastspiel von Roberto Ciullis Theater an der Ruhr mit „Diener zweier Herrn“

Ist nicht eigentlich schon der Versuch löblich, in die Jahre gekommene Schauspiele zu aktualisieren? Ist es nicht sogar die Pflicht des Regisseurs, ein Stück wie Carlo Goldonis Der Diener zweier Herren, das immerhin vor 231 Jahren seine Uraufführung erlebte und dessen historischen Inhalte und Bezüge wir gar nicht mehr kennen, zeitgemäß einzurichten? Roberto Ciulli, der promovierte Philosoph und Regisseur, verpaßte früher schon Brecht und Beckett neues Flair; er ließ sich auch diesmal nicht lumpen.

Den Handlunsort der Comedia dell'arte über die Frau in Männerkleidern Beatrice, ihren Geliebten Florindo und den geldgierigen Diener beider, Truffaldino, sowie sein geschicktes Doppelspiel verlegte Ciulli zwar nicht fort von Venedig, aber nach unten. Genauer: in die Tiefgarage eines Hotels, unter dem Flughafen. Dort spielt die ausladende Verwechslungskomödie im tristen Betonambiente – und statt im Kaufmanns- im Mafia-Milieu. Im reizvollen Bruch erklingt dazu Barock-Musak und die Valiumerotik weiblicher Flugdurchsagen. So trägt denn auch Kaufmann Don Pantalone de Bisognosi in diesem Fall einen Koffer mit „Charlie“ (Kokain) bei sich und einen lachsfarbenen Anzug unterm weißen, pelzverbrämten Mantel.

Laut sind die Kostüme, das paßt zum Genre. An die Stelle des für Beatrices Bruder tödlich endenden Duells setzt Ciulli einen fingierten Verkehrsunfall. Dessen Urheber, der Auftragsmörder Florindo, darf sich wie Jack Nicholson gerieren. Truffaldino, die Parade-Rolle des Dieners, tritt als Bettelpunk mit Lederjacke, Schottenrock und Doc Martens-Latschen auf.

So ließe sich das Alphabet der Modernisierung noch eine Weile fortbuchstabieren. Aber es käme trotzdem keine neue, stringente Lesart des einstmals gesellschaftsrelevanten Stoffes dabei heraus. Die Einfälle sind Styling. Schlimmer, die immanenten Probleme des Stoffes bleiben unberührt: Nichts erfährt der Zuschauer über die Gewalt des Patriarchen, über die Rätsel der Intrige und der Liebe.

Zudem erkaufte sich Ciulli die Neudekoration des alten Stückes um den Preis neuer Nöte. Es bleibt völlig ungeklärt, warum Beatrice noch vorbehaltlos den gedungenen Mörder ihres Bruders lieben kann. Rätselhaft auch, wieso Mafiosi sich in Tiefgaragen ausgesprochenermaßen „Diener“ zulegen müssen. Und diesen jungen Leuten, die Truffaldino ähneln und an U-Bahnhöfen um eine Mark bitten, geht im allgemeinen aus ideologischen Gründen der Sinn fürs Servile ab – eine unausgegorene Adaption, trotz humoriger schauspielerischer Leistungen.

Bei all den Ungereimtheiten geht es grell zu, deftig bis zum ef- fektheischenden Griff in den penislosen Schritt Beatrices und manchmal sogar recht lustig. Aber für eine bloße Klamotte ist die Inszenierung mit drei Stunden Dauer schlicht zu lang.

Hilmar Schulz