Geschwätzige Töne

Die Berlinale hat begonnen. Doch auch dieses Mal werden wieder nur die sichtbaren Stars gewürdigt – die Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren. Zu den unbeachteten und preisungekrönten Helden des Filmgewerbes gehören Menschen wie Martin Langenbach. Beruf: Geräuschemacher. Was beim Dreh versäumt wurde, holt er mit Klangutensilien aller Art im Tonstudio nach. Jedes Detail will beachtet sein. Zum Repertoire des Geräuschemachers gehört „Geplängel“, „Gerumsche“ und „schrabbeliges Riegelratsch“. Den Mester der Töne porträtiert  ■ Birgit Glombitza

Wasser ist immer kritisch. Das sind sich die Tonmeister einig. Tröpfeln, rieseln, nieseln, plätschern, gischten, brausen, rauschen, brodeln, klatschen, fließen, tosen, stürmen, blubbern, plitschen – da liegen Welten zwischen oder wenigstens Berge aus unterschiedlichen Klangbeuteln und eindrucksvollen Haufen aus Papier-, Metall- und Steinkleinteilen. Hände auf die Augen, Ohren aufgesperrt, und auf einmal ist die Verwandtschaft der Meeresbrandung mit einer Papiertüte, Alufolie oder einem Kieselsteinsäckchen nicht mehr zu überhören.

Für den Geräuschemacher Martin Langenbach ist das eine Frage von äußerst pingeliger Dosierung. Von genau bemessenen Platsch- und Plitschanteilen, gegenüber Braus- und Rumskomponenten. Oft reicht eine mit Wasser zu füllende Plastiktüte. In schweren Fällen muß die Badewanne her, die in Langenbachs Krachreich im Hamburger „Konken“-Studio steht. Aber da steht sie eben, schließlich kann er ja nicht alles mitnehmen, wenn er zum Geräuschemachen in andere Aufnahmestudios bestellt wird.

Im Moment hockt der 26jährige im Tonstudio von „Loft“ und soll gutmachen, was beim Dreh eines Dokumentarfilms (“Julias Wahn“ von Hannes Schönemann) versäumt wurde. Vor ihm läuft auf einem Monitor eine Szene, die noch auf ihren Ton wartet: Ein Boot fährt reichlich stumm übers Meer und wackelt ordentlich. „Die Wellen hab' ich schon rausgeschnibbelt“, sagt Toningenieur Jörg Krieger, der im Raum nebenan am Mischpult hockt, über den Lautsprecher. Was jetzt noch fehlt, ist das Aufschlagen des Boots. „Kannste mir da noch 'nen Rums machen, da, wo es so gischtschtscht“, fragt er, wischt sich ein Spuckebläschen von der Oberlippe und entschuldigt sich: „Das ist wirklich albern, daß man bei Geräuschen immer in so 'ne Comicsprache verfällt.“

Martin nickt ihm durch die Glaswand zu. Für den „Rums“ braucht er Metall. Und weil ihm das kein Mensch vorher angekündigt hat, liegt auch nichts Brauchbares in dem Wust mitgebrachter Klangutensilien. Schuhe über Schuhe gibt es, die aussehen, als hätte er sie Verkehrsopfern vom Fuß gezogen, Holzkästen mit unterschiedlichem Holzgeraspel, Stoffballen und ein Meer aus blechernem Kleinzeug. Vom Winkel bis zur Fahrradklingel, vom Regenschirmgerippe bis zu seinem Lieblingsinstrument – einem rostigen, alten Türriegel, der nicht nur dieses „schrabbelige Riegelratsch“ perfekt beherrscht, sondern geschüttelt zum kleinen „Gedöngel“-Orchester wird und gestoßen zum satten, dunklen „Rummmschschsch“ taugt.

Martin hat die Metalltür des Studios entdeckt, legt sie auf diverse Ikea-Flickenteppiche direkt unters Mikrophon und schiebt, als immer noch irgend etwas unerwünscht „dingelt“, zusätzlich seinen Wintermantel drunter. Dann haut er ganz leicht mit der Faust drauf. „Das klingt ein bißchen, wie soll ich sagen, klein“, meint Jörg jetzt etwas vornehmer. Also versucht er einen möglichst synchronen Boot-gegen-Wellen-Rums. „Da ist ja noch 'ne Schiffsglocke! Ich fürchte, die wird uns nerven, aber die ist nun mal im Bild“, stellt Jörg fest und schlägt erbarmungslos vor: „Vielleicht kann man die im Laufe der Einstellung ja noch verrecken lassen.“

Das „Rums“ ist nach vier Takes fertig. Die Reaktionszeiten von Martin Langenbach, zwischen runtergehendem Schiff im Fernseher zu der herunterdonnernden Faust, können später rausgeschnitten werden. Hauptsache, der Rhythmus stimmt. Die zum Sterben verurteilte Glocke ist für den Geräuschemacher eine Kleinigkeit. Glocken vom „Palimparlimparlim“ bis zum fetten „Puhdongpuhdongpuhdong“ hat er immer in einem seiner zahllosen Koffer, Boxen und Säcke.

Martin Langenbach knittert und zerrt, spannt und fummelt an einem dicken Tuch herum. Ganz klar, das ist eine dänische Schiffsfahne im Sturm. Jetzt noch die Schritte von dem Menschen ganz hinten? „Nö, den beachtet eh keine Schwein, viel zu weit weg“, meint Jörg Krieger. „Mach mal lieber so einen schweren Ausatmer ohne Nase und erst mal ohne Rauch für die Zigarettenszene.“ Martin atmet tief ein, und dann so doll aus, als müßte er den Wellengang um den Bootsrumpf gleich mitverantworten.

Als nächstes kommt eine merkwürdige Einstellung. Ein Typ im Auto und eine Frau, und die steigt dann aus. Ohne Ton könnte man glauben, die reden über Pizzabelag oder die Blümchen am Wegrand. Doch wenn man genau hinschaut, sieht man, daß der Typ die Frau angrabbelt. Kaum zu erkennen. Aber wenn Martin Langenbach dazu seinen Unterarm an verschiedene Stoffe und ein Stück Leder reibt, mit der anderen Hand fast spastisch sein Handgelenk umfaßt, kann man genau hören, worum es geht. Die Tramperinnennöte spielen sich allein auf der Tonspur ab. In jedem Gepatsche kann man auf einmal Geilheit, Wut und Angst hören.

Im Zweifel ist Ton eben geschwätziger als jedes noch so bewegte Bild. Ein Grund, warum die Zensur bei den Splatterszenen nicht zuletzt der Tonspur auf den Leib rückt und das Geräusch zum Messerstich unterschlägt.

Zur Standardaufgabe eines jeden Geräuschemachers zählen Schritte. Und Schritt ist nicht gleich Schritt. Man kann hören, ob es sich um einen Mann oder eine Frau, um Spazierengehen, Rennen, Schlendern handelt; energischer Banker, zickige Pumpsträgerin, schlurfende ältere Herren oder leisetretende Träumer.

Martin, der unterschiedliche Steinplatten immer dabei hat, probiert ein paar Schuhe an. Die alten von seinem Chef hat er vorne aufgeschnitten, damit er reinpaßt. Und dann tritt er sitzend ganz merkwürdig auf der Stelle. So als müsse er mit einem Schritt einer ganze Garnison Ameisen mit Hacke, Mittelfuß und Zehen zerdrücken. So geht kein Mensch. Aber es hört sich genauso an wie ein etwa Vierzigjähriger beim Spaziergehen auf hartem, nicht zu trockenem Waschbeton. „So eine Steinplatte hat relativ wenig Eigenklang“, erklärt Martin, „eigentlich macht nur der Dreck darauf den spezifischen Krach.“

Bis hin zum Pudelhalsband gibt Martin jedem Detail Klang und Tonfarbe. Und wenn er eine Figur „echt nicht ausstehen kann, dann lasse ich sie ganz dämlich stolpern“. Das geht nur im Off, wenn „die Kuh“ schon aus dem Bild „gemeiert“ ist und der Ton noch ein bißchen überlappt. „Solche kleinen Gemeinheiten machen alle“, entschuldigt Martin Langenbach seine Lust an der akustischen Diffamierung als anarchische Signatur seiner Zunft.

Insider erkennen sich gegenseitig an diesen Gimmicks. Ob vor der Glotze oder im Kino: Beim ersten Autoaufschließen ist klar, welcher Meister am Werk war. Der eine mag's lieber etwas rappeliger und betont den Blechanteil, der andere etwas dumpfer, weil ihm die Türfütterung am Herzen liegt.

An der Effektmaschine und dem Mischpult lag es nicht, daß Martin Langenbach sich vor vier Jahren für die Profession des Geräuschemachers entschied. Tontechnik war „einfach nicht meine Sache“. Und als bei einer Spielfilmvertonung Schritte fehlten, sprang er ein. Geräuschemachen ist „eben viel sinnlicher“. Und „etwas Infantilität gehört zum Herummatschen, Scheppern oder Rascheln dazu“.

Am liebsten arbeitet Martin, wenn die Regisseure nicht dabei sind. Denn viele wollen auch einfach nur mit den Augen hören. „Wenn die sehen, daß mein wunderschönes Mountainbike ein abgewrackter Regenschirm ist“, sagt er, „dann hören die partout auch nur den Regenschirm.“

Wenn ihm keiner auf die Finger guckt, kann er sich in Ruhe um sein „additives Komponentensystem“ kümmern. Lederquietschen und Holzrattern und Gematsche und Getrappel machen eine Kutsche. Aber nur die mit alter Radaufhängung und nur auf nicht allzu matschigem Waldboden und ohne Überladung und mit normalem Pferdezweigespann. Und vermutlich gilt der Ton auch dann nur beim ersten Vollmond in einem Schaltjahr.

Eine Eisenbahn zu vertonen ist nahezu unmöglich. „Da bekomme ich echte Schweißausbrühe. Bis man das von der ersten Schraube bis zum letzen Quietschen zusammen hat, und dann noch diesen komplizierten Dieselmotor, das dauert eine Ewigkeit und klingt am Ende immer noch wie eine hysterische Gartentür.“

Und ein Kuß? „Ist langweilig“, meint er und knutscht zur Demonstration seinen Arm ab. Ein Wimpernschlag? „Ich gestalte den jetzt mal feucht“, kündigt Martin an und matscht ein bißchen mit Lidern und Augapfel herum. Knochenbrüche sind schon was anderes. Deswegen fummelt er erst an einem Bündel Eisstielen und entscheidet sich dann für ein dickes, aber gut zu splitterndes Bambusrohr. Je nachdem, ob man es „hölzern und etwas hohl“ oder „satter und knarzig“ haben will.

Böse Töne gibt es nicht. Schön ist, was echt klingt. Und überhaupt macht er am liebsten Kutschen oder Ästeschleifen auf Mantelschulter. Das ist viel spannender als Dinosaurier oder Explosionen. Ein Knall mit den Lippen direkt ins Mikro schlägt jede echte Bombe.

„Das absolute Gehör habe ich nicht“, aber nach vier Jahren „Herumspielen“ kann er seine Freunde bereits am Jackengeraschel erkennen. Am Anfang hat er auf alles, was seinen Alltag säumte, geklopft und herumgerieben. Er ließ keinen Flohmarkt aus und schmiß Joghurtbecher nur noch nach reiflicher Überlegung weg. Was gemeinhin als Stille gilt, kann seinem aufgesperrten Ohren schrecklicher Lärm sein. Das ohrenbetäubende Magengrummeln, Kratzen der Kollegen, die Kampfbomber in Gestalt verirrter Fliegen. „Ein bißchen Gestöhne gehört auch zur Zunft der Tontechniker und Geräuschemacher“, bekennt Langenbach und schabt verlegen mit der Hand über seinen Meckihaarschnitt und dann über seine abgewetzte Jeans. Ein unglaubliches Getöse. Ein Erdrutsch in den Dolomiten ist nichts dagegen.

Birgit Glombitza, 31, lebt und arbeitet als freie Journalistin in Hamburg. Ihre Schwerpunkte sind Film, Fernsehen und Theater. Von 1997 bis 1998 war sie Kulturredakteurin der taz hamburg