: Kafkas Verwandlung ohne Schrecken
■ Der berühmte Theatermann Jan Fabre läßt zigtausend Käfer durch die Galerie für Gegenwartskunst wuseln
Die Erben von Sammlungen – egal ob Briefmarken, Bierdeckel oder Zahnspangen – gehorchen in aller Regel folgendem Handlungsmuster: erst stöhnen, dann weg auf den Speicher mit dem unnützen Zeug und nach einer gewissen Pietätsfrist entsorgen in der Mülltonne. Der Belgier Jan Fabre (Jahrgang 1958) ist nicht die Regel. Die Käfersammlung seines Ur-Großvaters Jean-Henri Fabre verwandelt er in Kunst. Schließlich war der auch ein berühmter Insektenforscher. Außerdem schätzt der documenta-Teilnehmer und Theatermann, gegen dessen Kunst des Schleichens ein Robert Wilson wie ein Hypermotoriker wirkt, viel zu sehr die Tugend der Geduld und des Gedächtnisses, um sein Erbe zu ignorieren. Wo andere Bildhauer ihr Sujet altbacken in Stein, Bronze, Holz hauen, gießen, schaben, bastelt Fabre Kleider, Mönchskutten, Kreuze oder ein Forschermikroskop aus tausenden von blauschimmernden oder braunen Käfern. Die klebt er auf ein Metallgerüst. Das ist eine Heidenarbeit, selbst beim christlichen Kreuz. Selbst erjagen wie weiland Ernst Jünger tut er sie nicht. Entweder er tauscht sie gegen Käfer aus seiner ererbten Sammlung ein, oder er erwirbt sie für eine Mark das Stück. So beläuft sich der Naturalienwert großer Arbeiten angeblich auf 12.000 Mark. „Mindestens 300 Jahre haltbar“, garantiert Galeristin Barbara Claasen-Schmal. Ein Erfahrungswert. Denn just solange exisieren die ältesten formaldehydbehandelten Käfersammlungen.
Längst geht herrschende Technik in der Tierwelt zur Schule. Bionik heißt diese Wissenschaft, die bei Vögeln aerodynamische Effizienz abguckt oder bei Bibern die Wasserimprägnierung. Doch auch in psychischer und gesellschaftlicher Hinsicht könnten wir von Tieren lernen, meinte Fabre einst zu documenta-9-Chef Jan Hoet: „Wir müssen Zauberer bleiben, die mit Liebe und Wärme den Betrachter in ein wildes Schwein oder ein ruhiges Lamm verwandeln ... so daß er fühlt, daß er noch einen Körper und ein Herz hat.“ Nicht selten ist Fabre Gast auf Biologen-Kongressen. Er lebt zusammen mit Schildkröten und einem Raubvogel. In einem Theaterstück thront etwas Eulenartiges mit unergründlicher Gelassenheit auf der Schulter eines Schreitenden. Auch Fabres berühmte Bic-Kugelschreiber-Kritzeleien folgten angeblich der Spur von Insekten.
Für Kafka ist der Käfer ein Symbol für den Verlust des Mensch-seins. Für Fabre vielleicht eine Befreiung davon. Jedenfalls steht er für Verwandlung, Lernen, Anpassung. Weil er ein Larvenstadium durchwandert, spielt der Skarabäus zum Beispiel in der ägyptischen Mythologie eine große Rolle. Durch seine kurze Lebenszeit ist der Reproduktionszyklus seiner Gene schneller, also variabler als beim Menschen. „Unbekannter Computer“ nennt Fabre ihn manchmal, weil er zuverlässig wie eine Festplatte einen Teil der Erdgeschichte in seinen Chromosomen abspeichert. „Grab für einen unbekannten Computer“ heißt ein Quartett von Fotos, das ein Gräberfeld im Wandel der Jahreszeiten zeigt, ganz ähnlich den Jahreszeitenstudien im Fotoband „Sichtbare Zeit“ von Michael Ruetz. Nicht mal der Tod bedeutet Stillstand, sondern ist Teil des Blühens und Welkens.
Wie aber können uns Käfer konkret beim Kindererziehen, Pizzabacken oder bei der Gesundheitsreform helfen? Egal, umwerfend beeindruckend sind die ausgestellten Objekte. Redakteure von ART und „Die Zeit“ reisten an, übrigens von der Zeit-Wissenschaftsredaktion. Unterschiedlichste Käfer scheinen sich über einen Kuhkadaver herzumachen. Weniger ein Bild des Entsetzens als des ewigen Gebens und Nehmens in der Natur. So wie auch das Kreuz nicht nur für den Tod, sondern auch für Wiederauferstehung steht. Die Kuhform hat Fabre aus Bildern von Rembrandt und Chaim Soutine abgeleitet: Die Wechselwirkung von Kunst und Wissenschaft ist eines seiner Lieblingsthemen.
Der Panzer der Käfer bietet Schutz; der muß aber fallen, will der Käfer fliegen. Die Ritterrüstungen des Mittelalters bedeuten Krieg. In einem der reduktionistischen Theaterstücke läßt sie Fabre immer wieder anlegen, fallen, anlegen ... Die neue Mystik eines Henri Gorecki oder einer Sofia Gubaidulina gibt den meditativen Rhythmus dazu an. Ergebnis ist eine überirdische Geduld. Mit ihr bewappnet, läßt sich jederzeit Briefmarken sammeln oder Käfer kleben. bk
Bis 27. März, Di - Fr 14 bis 18 Uhr, Sa 12 bis 14 Uhr, Bleicherstr. 55
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