■ Berlinale-Anthropologie: Wiesenthal? Museum?
Der große Saal, wo in der Akademie der Künste, Hanseatenweg, die Filme gezeigt werden, ist ja kein Kinosaal. Nie verschwindet er, während der Film läuft, völlig aus deinem Bewußtsein; die Leinwand ist auch keine richtige, sie hängt von der Decke auf eine Bühne herunter, die mit Vorträgen, Lesungen, Diskussionen, auch mit theatralischen Darbietungen bevölkert werden soll. Im großen Saal der Akademie, will ich sagen, ist Kino bei den anderen Künsten bloß zu Gast.
Hier durfte ich an einem Nachmittag – draußen weiterhin das strahlende Wintersonnenwetter – einem Dokumentarfilm beiwohnen, der den endgültigen Untergang der Postmoderne anzeigte. Der Kollege Fricke hat am Donnerstag die Geschichte auf diesen Seiten schon erzählt. Ein österreichischer Maler von Weltruhm erstattet bei der Polizei Anzeige, weil auf Bilder, die sein Atelier in der Kunstakademie beherbergte, ein Attentat verübt worden ist: Unbekannte haben sie schwarz übermalt – und haargenau dies war das Markenzeichen des weltberühmten Malers, „der Übermensch als Übermaler“; in den Sechzigern Teilnehmer einer anarchistischen Avantgarde, unterdessen kanonisiert, wie's halt so geht. Aber was soll es bedeuten, daß der Übermaler in den Neunzigern selber übermalt wurde?
Ein anonymes Manifest, mehrere eng betippte Seiten, wird nachgereicht und webt ein so dichtes Netz allegorischer Bezüge, daß das Attentat als Fortsetzung und zugleich Grundsatzkritik des Malers gedeutet werden darf – er selbst scheint ganz angetan. Sein grauer Haarschopf – Schläfen und Hinterkopf sind kurz geschoren – ließ mich immer wieder unwillkürlich denken: So hätte Adolf Hitler mit Siebzig ausgeschaut. Am Ende sah auch Franz Fuchs wie Hitler aus, Franz Fuchs, der Briefbombenattentäter, die Parolenschreibmaschine ohne Hände. Es führen die Assoziationswege, wollte uns der Film erzählen, vom Aktionismus der Sechziger zu den Attentaten der Bajuwarischen Befreiungsarmee; womöglich, grübelt der Film, müssen wir auch Franz Fuchs in die Kunstwelt aufnehmen?!
Das Publikum folgte dem mit anwachsend unglücklichem Bewußtsein. Bewegte der bilderstürmerische Aktionismus der Sechziger sich erkennbar im Rahmen einer Kunstpraxis, die Dada gestiftet hat, so ging die Idee, Franz Fuchs und die BBA in denselben Rahmen zu fassen, erkennbar auf eine einzige Person zurück, Lutz Dammbeck aus Leipzig, der in der anschließenden Diskussion gestehen mußte, richtig durcharbeiten, bis zur kriminalistischen Beweisvorlage, könne er die Idee halt auch nicht. Was ist Kunst? grübelte Lutz Dammbeck hoffnungslos, Vincent van Gogh mit dem abgeschnittenen Ohr, Franz Fuchs mit den abgesprengten Händen – die Assoziation schockierte das unglückliche Publikum so gründlich, daß jeder Wutanfall unterblieb.
Der postmoderne Schwurbel hat also das Kulturfeature des Fernsehens erreicht, nichts Genaues weiß man nicht, alles Simulation. Lutz Dammbecks Interviews mit allerlei Rechtsintellektuellen trug weniger zur Wahrheitsfindung denn zu diesem Schwurbel bei. Die Geschichte des Christian Böhm- Ermolli, einst Student bei Arnulf Rainer und Peter Weibel (der in seinem Interview blitzschnell dümmstes Zeug schnuddelte), diese Geschichte hätte man gern deutlicher erzählt bekommen, als Dokumentarfilm, nicht als Beitrag zu den ästhetischen Problemen des Alterns der Avantgarde.
Christian Böhm-Ermolli hat sich mit 31 Jahren erschossen, in Beethovens Sterbehaus, wo auch Otto Weininger sich entleibte. Seine Kumpels aus der FPÖ erläuterten fachmännisch, wie er sich's nach k.u.k. Offiziersmanier besorgte: Man nimmt einen Schluck Wasser in den Mund. Dann bläst der Schuß tadellos den ganzen Kopf weg. Mit den Kumpels pflegte Böhm-Ermolli auf Raves zu gehen, die er als militärische Exerzitien auffaßte, von Kosmosmusik hinterfangen. Einer erklärte, wie Böhm-Ermolli immer wieder leuchtenden Augs verkündete, in der Musik die Weltformel empfangen zu haben, ja, die Weltformel. Die kleinäugigen und schon tüchtig verfetteten Jungmänner verkniffen sich nur mühsam das Kopfschütteln.
Statt uns die Geschichte von Christian Böhm-Ermolli zu erzählen, wollte Lutz Dammbeck den Schwurbel so in Gang gesetzt haben, daß wir in ihm den Programmatiker und in den Kumpels den Rest der Bajuwarischen Befreiungsarmee erahnten. Oder doch nicht? Ist doch letzten Endes alles Simulation?
Nein. Dankbare Lacher erweckte eine Cousine Arnulf Rainers, die in dem schwerst deutschnationalen Milieu verblieben ist, aus dem er stammt. Abwertend redete sie von seiner großen Ausstellung im Wiesenthal-Museum. – Wie? – Wiesenthal, kennen Sie nicht? Wiesenthal? – Sie meinte das Solomon R. Guggenheim Museum in New York City. Michael Rutschky
Foto: Vor drei Jahren sah diese Fassade ganz anders aus.
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