Flußgöttin oder Bundesregierung

Deutsche Firmen wollen gegen heftigen lokalen Widerstand ein Wasserkraftwerk am indischen Narmada-Fluß bauen. Alles hängt an der staatlichen Förderung  ■ Von Maike Rademaker

Köln (taz) – Zwei deutsche Stromkonzerne, VEW und Bayernwerk, sowie Siemens und die HypoVereinsbank haben den Zorn von 20.000 indischen Bauern auf sich gezogen. Die besetzten im vergangenen Jahr die Baustelle des geplanten 400-Megawatt- Kraftwerks Maheshwar am zentralindischen Narmada-Fluß. Sie konnten zwar immerhin einen zweimonatigen Baustopp erreichen, wurden aber brutal geräumt; über 1.000 Bauern wurden dabei verhaftet. Am 8. Januar dieses Jahres besetzten die Betroffenen erneut für einen Tag die Baustelle. Weitere Besetzungen haben sie angedroht.

VEW und Bayernwerk haben Vorverträge über eine 49prozentige Beteiligung am Staudammprojekt abgeschlossen, Siemens will Turbinen liefern und die HypoVereinsbank das Ganze mit einem 257-Millionen-Dollar-Kredit finanzieren. Gegen politische Risiken oder Zahlungsunfähigkeit der Regierung wollen sich die deutschen Firmen durch Ausfallbürgschaften und Kapitalanlagengarantien des Bundes absichern (siehe Kasten).

Jetzt steht das Projekt auf der Kippe. Die Bauern protestieren gegen die notwendigen Umsiedlungen und appellieren an die deutsche Regierung und die Firmen, sich zurückzuziehen. Unterstützt werden sie dabei von der deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisation Urgewald. Und die Gewährung der Hermes-Bürgschaften steht in den Sternen, das Genehmigungsverfahren wurde im Sommer ausgesetzt.

Bei Maheshwar handelt es sich um das erste privatfinanzierte Kraftwerk in Indien. Mit der Energie aus der Kaskade von 30 geplanten Großstaudämmen und über 3.000 kleineren Dämmen am Narmada sollen die regelmäßigen Stromausfälle in der Region Madhya Pradesh bekämpft werden. Die Pläne für den Damm gibt es seit 1978, mit dem Bau begonnen wurde allerdings erst nach dem Einstieg der finanzkräftigen deutschen Firmen in das Projekt. Doch noch bevor die Verträge gänzlich unter Dach und Fach waren, wurde klar: Die Menschen, die entlang des Flusses leben, machen nicht mit. 5.000 Hektar fruchtbarstes Ackerland soll überflutet werden, 61 Dörfer müssen dann umgesiedelt werden. Für die Bauern ist der Narmada-Fluß eine Göttin, deren Unterstützung sie sich gewiß sind. Sie protestieren über mangelnde Informationen, völlig unzureichende Umsiedlungspläne und Betrug.

Statt der gesetzlich vorgeschriebenen Land-für-Land-Entschädigung wurde vielen Geld angeboten, anderen trockenes und qualitativ schlechtes Land. Die Gebiete, in die die Flußanrainer umgesiedelt werden sollen, sind außerdem längst bewohnt. Den dort lebenden Dalits, die zu der ärmsten Bevölkerungsgruppe Indiens gehören, drohen Enteignung und Vertreibung.

Die protestierenden Dorfbewohner sehen den Staudammbau und damit ihre Probleme in klarem Zusammenhang mit der deutschen Finanzierung. Um zu verhindern, daß die Bundesregierung Kredit und Beteiligungen versichert, schrieben 127 Einwohner des Dorfes Amlatha an den deutschen Kanzler und forderten ihn auf, sich aus dem Projekt zurückzuziehen: „Sie sind mitverantwortlich für die Betrügereien.“ Offensichtlich haben weder die deutschen Firmen noch die zuständigen Ministerien vorab ausreichend die ökologischen und sozialen Folgen des Dammbaus untersucht. Von Urgewald-Geschäftsführerin Heffa Schücking dazu angeschrieben, antwortete die Bayrische Vereinsbank, man habe im Detail geprüft, sich aber „auch auf die Fachleute des Bayernwerkes verlassen“ und müsse sich in „einer arbeitsteiligen Welt auf die Kompetenzen der öffentlichen Stellen verlassen.“ Das Bundeswirtschaftsministerium seinerseits schiebt die Verantwortung über umwelt- und sozialpolitische Konzepte ab, weil „deren Einhaltung Aufgabe der Projektverantwortlichen ist“.

Die scheinbar alleinigen Projektverantwortlichen sind von den deutschen Finanziers schnell identifiziert: die indischen Behörden. Diese erwiesen sich aber schon beim Bau des Narmada-Staudammes als hochgradig inkompetent: 250.000 Menschen protestierten 1993 gegen das Projekt und erreichten den Ausstieg der Weltbank. Deren Untersuchungskommission hatte untragbare soziale und ökologische Kosten und mangelnde Wirschaftlichkeit des Großstaudammes konstatiert.

Das Bundeswirtschaftsministerium hält Maheshwar zur Zeit nicht für förderungswürdig, eine Entscheidung steht allerdings noch aus. Die Firmen halten dagegen, unter nuancierter Anerkennung der Proteste, weiterhin an dem Damm fest. Jörn-Erik Mantz, Projektleiter beim Bayernwerk, und VEW Sprecher Rudi Gaidosch verlangen zufriedenstellende Umsiedlungen vor Abschluß der letzten Verträge. Siemens-Sprecher Mark Derbacher erklärte dagegen, daß in Indien „der ein oder andere protestiert“ sei normal und kein Kriterium, das Projekt aufzugeben. Deutsches Wunschdenken versus indische Realität?

Im rot-grünen Koalitionsvertrag sicherten die Politiker eine Reform von Hermes nach sozialen und ökologischen Kriterien zu. Maheshwar ist der erste Lackmustest für dieses Versprechen.