Der Geist des verblichenen Ajatollah lebt weiter

■ Auch zehn Jahre nach dem Mordaufruf Chomeinis muß Rushdie um sein Leben fürchten

Zehn Jahre Mordaufruf und kein Ende. Am 14. Februar 1989 verkündete Ajatollah Chomeini sein „Islamisches Rechtsgutachten“, wonach der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie mit seinem Roman „Die Satanischen Verse“ den Propheten geschmäht habe und folglich umgebracht gehöre. „Der schwarze Pfeil des Todes ist abgeschossen und auf dem Weg zum Ziel“, sagte Chomeini im iranischen Fernsehen. Wenige Tage später hieß es aus Teheran, dem Killer winke ein Kopfgeld von umgerechnet über neun Millionen Mark.

Zehn Jahre danach ist der Pfeil noch immer in der Luft. Zwar erklärte Irans vergleichsweise moderater Präsident Mohammad Chatami im vergangenen September die Rushdie-Affäre für „völlig beendet“. Doch der Geist des verblichenen Chomeini lebt weiter. Im vergangenen November versprachen Tausende iranische Geistliche und Theologiestudenten ihr Monatseinkommen als Prämie für Rushdies Ermordung und boten gleich an, die Tat selbst auszuführen. Und als Anfang des Monats bekannt wurde, daß Rushdie ein Visum für Indien erhalten habe, um Verwandte zu besuchen, berichtete die Teheran Times, der Schriftsteller müsse bei der Reise mit seiner Ermordung rechnen. Der indische Geistliche Sayid Ahmad Bucharie kündigte umfangreiche Proteste an. Wenn Rushdie indischen Boden betrete, werde das „ernste Folgen haben“. Bei seinem Heimatbesuch wird Rushdie wohl vor allem Sicherheitsbeamte zu Gesicht bekommen.

Dabei war die Stimmung nach Chatamis Erklärung ausgesprochen optimistisch. Zwar traute sich der iranische Präsident aus innenpolitischen Gründen nicht, die Fatwa des in der Islamischen Republik sakrosankten Chomeini ganz zu den Akten zu legen. Doch nach langen Verhandlungen vor allem mit Vertretern der EU wurde Rushdie versichert, er könne künftig seines Lebens halbwegs sicher sein, Irans Staatsführung werde keine Killerkommandos auf ihn ansetzen. Gut gelaunt erschien daraufhin der Autor immer häufiger in der Öffentlichkeit. Im Oktober verkündete gar das Rushdie-Verteidigungskomitee seine Selbstauflösung.

Doch Irans konservative Hardliner gaben nicht auf. Wenige Tage später meldete sich Ajatollah Hassan Sanei zu Wort. „Entgegen der westlichen Propaganda ist das Todesurteil gegen Rushdie immer noch in Kraft, tatsächlich mehr den je“, zitierte die konservative Tageszeitung Dschumhiri Islami (Islamische Republik) den Chef der Stiftung 15. Chordad, den wichtigsten Kopfgeldgeber. Und die Zeitung Kaihan berichtete im November, ein iranischer Obstbauer stifte einen ganzen Weinberg für den Mord an dem angeblichen Gotteslästerer. Begründung: Es sei sein „brennender Wunsch, daß ein stolzer und hochherziger Muslim eines Tages das Leben von Salman Rushdie auslöscht“.

Inzwischen zeigt sich Rushdie seltener in der Öffentlichkeit und arbeitet angeblich an einem Roman über den Mythos von Orpheus in der Unterwelt. „Die Verletzungen eines Schriftstellers sind seine Stärken. Aus seinen Wunden werden die süßesten und eindrücklichsten Träume fließen“, schreibt er in der aktuellen Ausgabe des New Yorker. Titel des Essays: „My Unfunny Valentine“; der Jahrestag des Mordaufrufs ist Valentinstag. Thomas Dreger