Ab jetzt ist Schweigen

Sag es mit Musik und Bildern: Weil er sich für seinen übersprudelnden Redefluß (?!) bestrafen wollte, hat Aki Kaurismäki mit „Juha“ einen Stummfilm gedreht  ■ Von Axel Henrici

Arrest this man! – Sam Fuller“ hat jemand fein säuberlich mit Kreide auf die Tafel im Polizeirevier geschrieben, in das Juha kommt, um sich zu beschweren, daß ihm seine Frau mit einem reichen Gigolo aus der großen Stadt durchgebrannt ist. Da könne man leider nichts machen, meint der Dorfpolizist – vermutlich trocken: denn wir können die Dialoge ja nicht hören. Ab und zu knallt mal eine Türe im O-Ton, geht plötzlich der elektrische Rasierer los, der Rest ist Schweigen, von flotter Musik unterstrichen.

Unüberbietbar konsequent hat Aki Kaurismäki seine bewährte Lakonik aufs äußerste reduziert – und einen Stummfilm gemacht. „And if anybody is wondering why I made a silent film, it was just to punish myself for talking too much“, erklärt er vorab. Seinen Schauspielern habe er vorsichtshalber gar nicht gesagt, daß es sich bei diesem „lousy little movie“ um einen Stummfilm handle, erklärt der Finne mit unbewegter Miene. Manche der beteiligten Schauspieler hätten vermutlich heute davon zum erstenmal erfahren.

Dafür kamen sie zur Premiere im Berliner Delphi-Palast in den Genuß der Live-Filmmusik des Anssi Tikanmäki Filmorchesters. Sag es mit Musik und in Schwarzweiß. Von sattem Sound untermalt und nur gelegentlich von demonstrativ halbherzigen Zwischentiteln unterbrochen („Sie sind glücklich wie Kinder“), erzählt Aki Kaurismäkis neuester Film, „Juha“ (nach dem gleichnamigen Roman von Juhani Aho), die Ballade vom braven Bauern Juha (Sakari Kuosmanen), der seine Pflegetochter Marja (Kati Outinen) heiratet und, wie es der dumme Zufall will, ausgerechnet seinem zukünftigen Nebenbuhler Shemeikka (André Wilms) den Weg ebnet: Er repariert dem auf der Durchreise befindlichen Nachtklubbesitzer die liegengebliebene Karosse – was dieser dazu nutzt, mit der verstockt-schüchternen Bauersfrau anzubandeln. Zu schön sei sie, um auf dem Lande alt und grau zu werden. In ein paar Tagen wolle er sie abholen. Aus den Tagen werden Wochen, und Marja beginnt Kohlköpfe zu streicheln und sich nach Anleitung einer Modezeitschrift die Lippen zu schminken.

Doch eines Tages fährt das schicke Kabrio wieder vor. Sie gehen alle drei tanzen – das heißt, Shemeikka und Marja tanzen, und Juha betrinkt sich. Als Juha, mit dem Traktoren-Schraubenschlüssel im Arm, selig einschläft, ist es soweit. Die beiden machen sich aus dem Staub. Doch in der Stadt stellt Marja bald fest, daß sie nur eine von vielen Animierdamen in Shemeikkas Etablissement ist – und wie eine Gefangene gehalten wird. Sie erinnert sich an glücklichere Tage. Das tut auch Juha. Er schleift sein Beil, packt sein Ränzlein und fährt mit dem Bus in die große Stadt, um mit Shemeikka abzurechnen. Es kommt zum Showdown. Von zwei Schüssen in die Brust erwischt, läuft Juha noch eine Weile weiter: Wer derart in seiner Liebe getroffen ist, fällt von so was nicht so schnell um. Der Film endet dort, wo er absolut nichts verloren hat: auf einer Müllkippe. Zum alten Eisen geworden, kippt Juha um.

Weil der Komponist Tikanmäki stets mehr Musik auf Lager gehabt habe als er Bilder, sei der Film immer länger geworden, meint der Regisseur im anschließenden Publikumsgespräch. Dieses wurde zu einem amüsanten Katz-und-Maus- Spiel mit dem überkorrekten Forumschef Ulrich Gregor und der gelegentlich etwas überforderten Übersetzerin, die sich selbst die undankbare Aufgabe stellte, Kaurismäkis präzise Interventionen und Pointen zu erklären. The world according to Aki.

Irgendwann, so der Finne, habe der Film 16 Stunden gedauert, die er dann auf 78 Minuten zusammengeschnitten habe. Den Rest habe er aus dem Fenster geschmissen – leider stand vor dem Fenster ein Müllwagen. Wo der dann damit hinfuhr, verriet Aki Kaurismäki nicht.

Dafür unterhielt er das Forums- Publikum mit launigen Onelinern und eigenwilligen Deutungen seiner Berufung als Pionier einer neuen Stummfilmbewegung. „From now on it will be all silent.“ Sein nächster Film werde keine Bilder mehr haben, nur noch Licht und Schatten an der Wand. „Dann nehmen wir die Wand weg, dann den Schatten – und was haben wir dann?“ Gott habe zwar zwei entscheidende Fehler gemacht („1. den Film, 2. die Filmindustrie“), aber es gibt ihn: den Lichtblick.

Forum, 19.30 Uhr im Delphi-Filmpalast