Italien demonstriert gegen Rassismus

Hunderttausende protestieren in Mailand gegen einseitige Schuldzuweisung für hohe Kriminalität. Der Notenbankchef weist auf den „großen Beitrag für den nationalen Reichtum“ durch Immigranten hin  ■ Aus Rom Werner Raith

Fast eine Viertelmillion Italiener sind am vergangenen Wochenende in verschiedenen Städten zu Demonstrationen gegen Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung auf die Straße gegangen. Die größte Manifestation fand im norditalienischen Mailand statt, einem der schwierigsten sozialen Brennpunkte des Landes.

Unter dem Motto „Für eine sichere und solidarische Stadt“ hatten die drei großen Gewerkschaftsdachverbände CGIL, CISL und UIL aufgerufen, „der Diskriminierung von Ausländern“ ein Ende zu setzen und „auch wenigstens etwas von unserem Reichtum jenen zu geben, die ihn mitschaffen“, wie es in einem Flugblatt hieß.

Diese Argumentation machten sich in diesen Tagen nicht nur die Demoteilnehmer zu eigen, sondern auch so mancher Politker, Manager und hoher Beamter: So erklärte unter anderen Notenbankchef Antonio Fazio, Italien solle „nur nicht vergessen, daß angesichts unserer Bevölkerungsentwicklung und auch unserer wirtschaftlichen Zukunft der Beitrag ausländischer Arbeiter, insbesondere auch solcher aus der Dritten Welt, für unsere Gesamtökonomie von nicht zu unterschätzender Bedeutung“ sei.

Auch der Chef der regierenden Linksdemokraten, Walter Veltroni, rief im Rahmen der Kundgebung zu „Toleranz, Rücksichtnahme und vor allem zur Schaffung von Voraussetzungen“ auf, „die den Zuwanderern Chancen für ihr Leben geben, so daß sie eben nicht mehr in die Kriminalität abdriften“. Weiter sagte er: „Italien ist immer ein Einwanderungsland gewesen. Wir dürfen dem Rassismus nicht nachgeben.

Literatur-Nobelpreisträger Dario Fo geißelte Diskriminierungen nicht nur in Italien, sondern „als ein soziales Grundverhalten vieler Europäer“. Ein Polizeipräfekt wies anhand von Zahlen nach, daß die erhöhte Kriminalität der letzten Jahre und Monate absolut nicht durch Ausländer verursacht ist.

Die Rechtsparteien schwankten lange Zeit, ob sie an den Kundgebungen teilnehmen sollten. Am Ende jedoch sagte der Präsident der Region Lombardei, Formigono, offenbar in Absprache mit seinem Parteichef und Oppositionsführer Silvio Berlusconi, seine Teilnahme ab: Er fürchtete offenbar, die Demonstranten würden über ihn wegen der unklaren Haltung der Konservativen herfallen.

Tatsächlich betonten Forza Italia, Nationale Alianz und Christsoziale zwar ihren Abstand „zu jeder Art von Rassismus“. Doch gleichzeitig haben sie die vergangene Woche von der Regierung beschlossene Aufenthaltsgenehmigung für etwa 250.000 Immigraten scharf kritisiert, weil sie eine neue Welle von Asylbewerbern aus dem Balkan, aus Asien und aus Afrika befürchteten.

Daß das Klima in Mailand höchst gespannt ist, zeigten Vorfälle wenige Stunden vor der Demonstration: Da versuchten sich, unabhängig voneinander, in verschiedenen Stadtteilen mehrere Nordafrikaner umzubringen. Sie hatten zwar vorläufige Aufenthaltsgenehmigungen erhalten, fühlten sich aber von Drohungen seitens aufgebrachter Bürger, die gegen die tatsächlich unerträgliche Überfüllung der Notaufnahmelager in ihrer Stadt protesierten, so bedrängt, daß sie keinen anderen Ausweg mehr sahen.