Rechte Hatz mit tödlichem Ausgang

■ Vor dem Haus im brandenburgischen Guben, wo in der Nacht zu Samstag der algerische Asylbewerber Omar Ben Noui starb, versammelten sich gestern Anwohner und Politprominenz. Der 28jährige verblutete nach einer Hetzjagd von Rechtsradikalen auf alles Dunkelhäutige.

Den Ministerpräsidenten, na gut. Den Landrat auch, wenn es sein muß. Aber den Bürgermeister von Guben, den will Peter Riedl jetzt nicht auch noch in der Wohnung sitzen haben. Von den hohen Herren aus dem Rathaus fühlen sich die Bewohner der Hugo- Jentsch-Straße 14 ohnehin längst im Stich gelassen. „Kein Anruf, keine Nachfrage, warum redet eigentlich keiner mit uns?“, fragt sich der junge Mann, der die Eingangstür seines Plattenbaus gegen den Ansturm der Neugierigen und der Betroffenen verteidigt.

Draußen vor der kaputten Glastür werden Kerzen angezündet, Blumen niedergelegt, Transparente ausgerollt. Ein paar hundert Anwohner haben sich versammelt, Ministerpräsident Manfred Stolpe spricht vom „friedlichen Zusammenleben in Brandenburg“. Drinnen, zwischen vergilbten Waschbetonplatten und einer notdürftig gereinigten Wand, steht Horst Graetz und heult. „Ich bin fertig“, sagt der Rentner. Die Mahnwache vor der Haustür und die würdigen Worte der Prominenz will er sich nicht auch noch antun, Horst Graetz hat genug gesehen.

Zwei Tage ist es her, da wirft sich gegen fünf Uhr morgens jemand mit voller Wucht an die Haustür des Rentners. Der steht drinnen und hat Angst. Vor dem Haus tobt der Mob, alles voller Glatzten, die brüllen „Türken raus!“ Im Treppenhaus wimmert einer. Ein Nazi? Oder einer von den Ausländern? Als Horst Graetz Minuten später die Tür öffnet, ist es ohnehin egal. Omar Ben Noui, 28jähriger Asylbewerber aus Algerien, liegt blutüberströmt im Treppenhaus. Der Rentner ruft den Rettungsdienst, der ist um 5.09 Uhr vor Ort – ohne Arzt. Herr Graetz ruft nochmal an. Als der Notarzt eintrifft, ist Ben Noui tot. Die Glatzen auf der Straße verkrümeln sich. „Ich habe der Polizei gesagt, daß die Täter vor der Tür stehen“, sagt Horst Graetz fassungslos, „aber die wollte erstmal den Tatort sichern.“

Nach Auffassung einiger Gubener hätte der Vorfall vermieden werden können, wenn man rechtzeitig eingegriffen hätte. Bereits am Tag zuvor hätten Jugendliche in dem Stadtteil Ausländer verfolgt. Die rechten Jugendlichen trieben sich an Tankstellen und in Kneipen herum. „Wir waren so verängstigt, daß niemand eingegriffen hat.“

Der Polizei ist das „verbreitete rechte Klientel“ in der Stadt bekannt. „Von einer Hochburg kann man aber nicht reden“, sagt Polizeisprecher Berndt Fleischer. Bislang seien die Rechten vor allem wegen „Sieg Heil“-Rufen und Hakenkreuzschmierereien aufgefallen. Eine so schreckliche Bluttat habe es noch nicht gegeben.

Wieder einmal davongekommen ist vorläufig wohl der größte Teil der rechten Bande, die in der Nacht von Freitag auf Samstag den Algerier Omar Ben Noui zu Tode gehetzt hat. Während auf Gubens Straßen mächtig was los war, scheint sich die Polizei indes viel Zeit gelassen zu haben. Denn daß sich etwas zusammenbraute, kündigte sich bereits um 2.50 Uhr vor dem Gubener „Danceclub“ an. Ein paar Glatzen drängelten in die Diskothek, die ausdrücklich als „gemischt“ – sprich: nicht rein deutsch – gilt. „Da wird auch ausländische Musik gespielt“, berichtet ein junger Mann mit eher spärlichem Haupthaar, der den Laden verließ, bevor es zum Streit kam. Die Glatzen hätten „einen Fidschi“ gesucht, den fanden sie nicht, es kam zum Streit. Einer der deutschen Jugendlichen wurde dabei von einem schwarzen Diskothekbesucher verletzt. „Leichte Schnittwunden, nicht der Rede wert“, weiß Petra Hertwig, Oberstaatsanwältin in Cottbus.

Für die rechten Kameraden war der Vorfall willkommener Anlaß zur Hatz auf alles Dunkelhäutige. Per Handy verständigte man sich, 10 bis 15 Autos, so die Staatsanwältin, seien durch die Stadt gekreuzt auf der Suche nach Ausländern. „Die sind hier mit quietschenden Reifen auf- und abgefahren“ erzählt eine Anwohnerin des Plattenbaus, in dem Ben Noui umkam. Ein paar Fußminuten sind es von hier bis zur Diskothek, die der Algerier gegen fünf Uhr morgens verließ. Statt der Polizei waren draußen nur Glatzen zu sehen, die zeigten den Hitler-Gruß und schrien „Türken raus!“ Der Algerier, ein Landsmann und ein Freund aus Sierra Leone rannten um ihr Leben, Ben Noui trat die Tür eines Plattenbaus ein und schnitt sich dabei die Schlagader am rechten Knie auf – während die Nachbarn das Spektakel vorläufig aus den Fenstern beobachteten.

In einem Taxi habe sich der Mann aus Sierra Leone in eine nahe Kneipe geflüchtet, um die Polizei zu rufen. Und während die Bar von einer Gruppe Neonazis belagert wurde, verblutete ein paar Häuser weiter der algerische Asylbewerber. Auch von hier aus sei die Polizei verständigt worden, heißt es bei der Polizei. Die nahm lediglich die fünf Jugendlichen fest, die den Mann aus Sierra Leone verfolgt hatten. Der Rest des Vereins ging erstmal Fasching feiern. Manche Anwohner, die sinnierend vor den Kerzen stehen, haben noch Schminke im Gesicht. Constanze von Bullion, Guben