Aufschlag Gießen

Gob Squad, Showcase Beat Le Mot und Stefan Pucher erobern Hamburg und den Rest der Republik. Alle reden von der Neuen Gießener Schule, obwohl dieses Theater mit moralischer Anstalt rein gar nichts zu tun hat. Womit sonst, erklärt  ■ Claude Jansen

Ein bißchen fragt man sich schon, was das soll, daß sogenannte Schulen plötzlich wie Pilze aus dem Boden gestampft werden. Insbesondere im Zusammenhang mit Theater muß die Frage nach dem Warum etwas deutlicher gestellt werden: Offenbar gibt es einen Grund dafür, der jenseits von Eitelkeiten liegt. Auch wenn der momentan öffentlich ausgetragene Konkurrenzkampf zwischen der Hamburger und der Neuen Gießener Schule eher zur Nabelschau als zum Verständnis beiträgt.

Zur Zeit arbeiten die Gruppen Showcase Beat Le Mot, The Gob Squad und der Regisseur Stefan Pucher in Hamburg. Namen, die alle mit der Neuen Gießener Schule verbunden werden, auch wenn Stefan Pucher und Gob Squad gar nicht den berüchtigten Studiengang „Angewandte Theaterwissenschaft“ in Gießen besucht haben. Vor dreizehn Jahren wurde dieser Fachbereich eingerichtet, der anders organisiert sein sollte als bereits existierende theaterwissenschaftliche Studiengänge, der nach amerikanischem Modell Theorie und Praxis lehren sollte. Andrzej Wirth, Theaterkritiker und ehemaliger Dozent an verschiedenen amerikanischen Universitäten, wurde auf den Lehrstuhl gesetzt und durfte loslegen.

Durch die sorgfältige Beschäftigung mit den Avantgarden dieses Jahrhunderts wurden auf einer Probebühne eigene theatrale Formen etabliert, die Arbeitsweise schien sich jedoch nach wie vor an ana-chronistischen Stadttheatermethoden zu orientieren. Genervt von einem männlich dominierten Regiekult und hierarchischen Strukturen am Gießener Institut, fanden sich acht Frauen zusammen, die ihre theoretischen Überlegungen lieber an Figuren wie Madonna und Courtney Love festmachten und damit begannen, eigene Stücke zu entwerfen – im Kollektiv, das unter dem Label She She Pop firmierte. Inspiriert von der Nottinghamer Live-Art-Gruppe Gob Squad wurde nach einer Darstellungsweise gesucht, die irgendwo zwischen Rollenspiel und Performance liegen sollte. Durch das Frankfurter Theater am Turm (TAT) war man bereits mit Gruppen wie der New Yorker Wooster Group, der Needcompany und dem belgischen Künstler Jan Fabre vertraut, die jeweils eine Theatersprache etabliert hatten, bei der das Rollenspiel keine repräsentativen Ziele mehr verfolgt, sondern als Zeichen neben anderen – Musik, Tanz, Text, Bild – funktioniert.

Aber auch neue Themen mußten her, und so war schnell klar, daß fertige Dramentexte der Arbeit nicht besonders dienlich sind. Eigene Geschichten sollten verhandelt werden, und Material dafür gab es nicht nur in Tagebüchern, sondern auch in Zeitungen, Modemagazinen, Soap Operas, Spielfilmen, Romanen und Songtexten. Das Konzept ging auf, wie der überraschende Erfolg des ersten Stückes Sesam, Sex & Salmonellen bewies. Kurz darauf kam die Antwort: Sechs Männer, die ebenso wie ihre weiblichen Vorbilder ein cooles Theaterkollektiv sein wollten, gründeten Showcase Beat Le Mot .

Doch irgendwann war die Zeit des Studierens vorbei, und das Stadttheater konnte nicht der Raum sein, ein solches Konzept fortzusetzen. Mit der Gründung der Neuen Gießener Schule sollten Forderungen formuliert werden, die eine freie Theaterarbeit begründen, ohne in Konkurrenz mit den subventionierten Theaterbetrieben zu stehen. Eine Arbeit, die das Theater als kommunikativen Ort versteht, in dem Tanz, Musik und Sprache dazu dienen sollen, Material zu nutzen, das im 20. Jahrhundert zum Kulturgut gehört: populäre Medien ebenso wie Erfahrungen mit Clubkultur.

Das heißt nicht, daß die Neue Gießener Schule für ein Pop-Theater steht, denn Pop ist nur ein Bereich unterschiedlicher Referenzen, die für die Bühne tauglich sind, um ernstzunehmende Geschichten zu formulieren. Die Neue Gießener Schule hat nicht die Absicht, gegen bestehende Traditionen zu kämpfen, sondern neben ihnen bestehen zu können. Als Bereicherung, denn die Aufführungen sind Ausdruck einer Atmosphäre, angesiedelt zwischen Theater, Performance, Club und Konzert.

nächste Premieren in Hamburg: Showcase Beat Le Mot mit „Grand Slam“: morgen, 20 Uhr, Kampnagel k6; Stefan Pucher mit „Comeback“: Donnerstag, 18. Februar, 20 Uhr, Malersaal im Deutschen Schauspielhaus; Gob Squad mit „Safe“: Mittwoch, 3. März, 20 Uhr, Kampnagel k2